Buchbesprechungen

Miroslav Verner: Verlorene Pyramiden, Vergessene Pharaonen - Abusir. Fotografien von Milan Zemina. Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Philosophische Fakultät der Karsluniversität, Tschechisches Ägyptologisches Institut. Praha, 1994. Academia Skodaexport.

ISBN 80-200-0044-5

Miroslav Verner gehört gegenwärtig zu den bedeutendsten Kennern des Alten Reiches und der ägyptischen Pyramiden. Verners Intention ist es, mit diesem Buch die Pyramiden, Mastabas und Schachtgräber wieder in Erinnerung zu rufen, die in Abusir im Schatten der Großen Pyramiden von Giza und den imposanten Anlagen von Sakkara stehen. Zu Unrecht! Natürlich sind die Anlagen von Abusir heute durch Steinraub so massiv geschädigt, daß man sich kaum noch ein Bild von der ursprünglichen Gestalt machen kann. Und daß Abusir für Touristen immer noch gesperrt ist, trägt ebenso dazu bei, daß es kaum jemand kennt. Dabei ist Abusir eine archäologische Stätte ersten Ranges, die - wie Verner meint - in jedem anderen Land der Welt als Sensation gelten würde! Allein die Funde an Reliefs der Pyramiden- und Taltempel geben den ältesten und vollständigsten Einblick über die Epoche der Pyramidenbauer - jedoch befindet sich fast alles im Ausland. Die Architektur der Pyramidenanlagen ist dabei wegweisend für die 5. und 6. Dynastie.

Abusir diente als Nekropole für die Könige der 5. Dynastie, die direkt auf die Erbauer der Großen Pyramiden von Giza folgte. Die Grabanlagen von Sahure, Niussere und Neferirkare wurden unter der Leitung des deutschen Ludwig Borchardt von 1902 an vorbildlich ausgegraben und publiziert. Das Sonnenheiligtum des Königs Niussere wurde in mehreren Bänden von Freiherr von Bissing von 1898-1901 ausgegraben, und das Sonnenheiligtum des Königs Userkaf von Stock und Ricke (1954-1957). Bis in die 60er Jahre hinein blieb es dann still um Abusir. Mit Zaba kam dann die tschechische Mission nach Abusir, die dort bis heute tätig ist. Unter der Leitung von Verner wurden schließlich die Pyramidenanlage der Königin Chentkaus II. ausgegraben und veröffentlicht. Die Grabungen am Komplex des Königs Reneferef sind noch im Gange. Dazu kommen zahlreiche Mastabas und andere Gräber. Ja, ganze Gräberfelder konnten in Abusir neu entdeckt werden.

Verner beginnt seine Reise mit dem Kapitel "Im Schatten von Memphis". Die Geschichte des Alten Reiches und die zu Memphis gehörenden Nekropolen - Abu Roash, Giza, Sakkara, Dahschur - bilden die Einleitung für die Nekropole von Abusir, die sich im Zentrum dieser gigantischen Anlagen befindet. Das 2. Kapitel "Abusir - Schicksal einer königlichen Nekropole" ist eine umfassende Beschreibung der Anlagen von Abusir. Im 3. Kapitel "Im Zeichen der Sonne" bespricht Verner die religiösen Hintergründe der 5. Dynastie und geht dabei u.a. detailliert auf die Sonnenheiligtümer von Abusir ein. Im 4. Kapitel "Die Königsmutter" erfährt der Leser was es mit den zwei Königinnen namens Chentkaus in Giza und Abusir auf sich hat - ein Problem, das die Wissenschaft wohl noch länger begleiten wird. Das 5. Kapitel "Das Geheimnis der Unvollendeten Pyramide" ist ganz den Grabungen am Grabkomplex des Neferefre gewidmet, der mit samt seinen Funden genau beschrieben wird. Im 6. Kapitel "Zeugnis der Papyrusarchive" geht es um eine der wichtigsten Entdeckungen des ganzen Alten Reiches: die Papyri von Abusir. Gleich nach den Pyramidentexten handelt es sich hierbei um die wichtigste schriftliche Überlieferung aus dem Alten Reich überhaupt. Aus dem Inhalt erschließen sich die ältesten religiösen und administrativen Details der ägyptischen Geschichte und Kultur! Im 7. Kapitel "Die atemberaubende Karriere eines königlichen Friseurs" wird eine der bedeutendsten Mastabas des Alten Reiches besprochen - und natürlich deren Inhaber: Ptahschepses. Das 8. Kapitel "Das Grab eines Verräters" erzählt die Geschichte von Udjahorresnet und seinem praktisch grabräubersicheren Grab. Kapitel 9 "Die Vergangenheit im Sand begraben" ist die Geschichte der Erforschung von Abusir - von Plinius bis zu Verner selbst.

Am Ende des Bandes folgt eine Übersicht über alle tschechischen Grabungen in Ägypten, eine Bibliographie zu Abusir, eine Zeittafel und ein Index. So hat das Buch 245 Seiten im Großformat und auf jeder Seite mindestens eine oder auch mehrere farbige Abbildungen, oft ganzseitig, und von bester Qualität. Der eigentliche Gewinn dieser Aufnahmen liegt aber in ihrer Einzigartigkeit. Wir sehen hier den Arbeitern zu oder den Waschfrauen von Abusir, den Fellachen beim Bestellen der Felder oder der Sonne, wie sie hinter den Pyramiden aufgeht. Pläne, Rekonstuktionen, Grundrisszeichungen - alles in großer Anzahl, machen aus diesem Buch praktisch einen herrlichen Bildband, der mit Motiven aufwartet, die man sonst in keinem anderen Bildband findet. Verner ist es gelungen, Abusir neu auferstehen zu lassen. Das ist das Fazit dieses herrlichen Buches, auf das niemand verzichten kann, der die Pyramiden oder das Alte Reich zu seinem Thema gewählt hat!

Professor Miroslav Verner arbeitet seit 1966 für das Tschechische Archäologische Institut und ist seit 1993 dessen Direktor. Als Gastprofessor lehrt er an den Universitäten von Wien und Hamburg. Die tschechischen Grabungen in Abusir leitet er seit 1976.

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