Grenzwissenschaft heute III

Qualität und Informationsgehalt grenzwissenschaftlicher Arbeit

Daß mein größter Vorwurf an die Grenzwissenschaftler deren schier nicht vorhandene Sachkenntnis ist, dürfte dem Leser meiner HP durchaus bekannt sein. B&H als aktuelle Beispiele zu nennen, wäre aber nicht gerecht! Bauvals erstes Buch ist - trotz aller Fehler - immer noch ein Buch mit einem "gewissen" Tiefgang, von dem sich jedenfalls feststellen läßt, daß der Autor eine nicht unerhebliche Menge an Fachliteratur auch wirklich gelesen hat. Der Absturz gelang erst mit der Fusion zu Graham Hancock. Die "Qualität" der Arbeit Hancocks besteht allein darin, Thesen, die andere angefertigt haben, aufzugreifen und zu neuen Thesen zusammenzufassen. Da steckt dann auch alles drin, von "Instantwissenschaft" bis zu "Faktenanreicherung", bzw. "Faktenreduktion", wenn ein Indiz dagegen spricht (C14 von Tiahuanaco, um nur ein greifbares Beispiel zu nennen).

Außerhalb ihrer Thesen (und innerhalb ohnehin) sind moderne grenzwissenschaftliche Bücher praktisch wertlos. Sie bieten nur noch Thesen aber keine weiterführenden Informationen mehr. Damit meine ich eigentlich gar nicht die Faktenreduktion! Was dabei so traurig auffällt ist vielmehr der Eindruck, daß die Autoren überhaupt keine Faszination angesichts ihrer Themen mehr empfinden bzw. weitergeben. Die Sache an sich scheint sie überhaupt nur zu interessieren, weil sie eben gerade in diesem Moment etwas über - sagen wir - das alte Ägypten schreiben: Thesen, Theorien ja - Informationen für den Leser nur bis zum Rand der These selbst, und selbst das unvollständig und nicht selten falsch (B&H!). Das sind "Bücher ohne Seele", die im Ruckzuck-Verfahren hingeschludert wurden. Ludwig Borchardt lebte wirklich in guten Zeiten!

Das hat natürlich entsetzliche Auswirkungen auf die Leser, die an anderes Material nicht mehr herankommen. Diese Leser zeigen sich äußerst konditioniert, wenn sie einmal mit dem vollständigen Bild einer Sachlage konfrontiert werden. Sagan schreibt über sein Treffen mit Mr. Buckley:

Während wir so durch den Regen fuhren, konnte ich ihm seine Enttäuschung ansehen. Ich war gerade dabei, nicht nur irgendeinen Irrglauben abzutun, sondern auch eine kostbare Facette seines Innenlebens.

Das war nicht immer so - im Gegenteil, die Qualität grenzwissenschaftlicher Arbeiten sinkt seit je und seit einigen Jahren mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Gehen wir einmal zurück, sagen wir zu Sir Matthew Flinders Petrie, dem "Vater der modernen Archäologie". Petrie kam ja nun nicht als Star zur Welt. Seine Geschichte ist lang und schwierig. Sein Vater war ein Mitarbeiter von Charles Piazzi Smyth und als Petrie das erste Mal nach Giza kam, war er dort als "Wissenschaftler im Grenzbereich" unterwegs. Wollte er Anfangs noch Smyths Thesen beweisen, stellte sich schon bald heraus, daß diese nicht funktionieren und Petrie begann damit eine ganz neue Wissenschaft zu begründen: Seine Methoden und sein Stil sind zur Legende geworden - seine Bücher bis heute(!) grundlegender Bestandteil jeder Ägyptologie und Archäologie. Die ganze Welt verneigt sich vor Petrie - können Sie sich das bei einem modernen Grenzwissenschaftler vorstellen? Glauben Sie, daß Autoren wie Bauval & Hancock – um unser aktuelles Beispiel zu nennen – auch so die ganze Wissenschaft verändern könnten?

Aber Petrie ist tatsächlich eine alles überstrahlende Erscheinung. Nehmen wir einmal die Gebrüder John & Morton Edgar, die astronomisch-mathematische Thesen über die Cheopspyramide vertraten und in ihrem Buch "The Great Pyramid Passages", London, 1910 veröffentlichten. Sogar Ludwig Borchardt meinte über dieses Buch ("Einiges zur dritten Bauperiode", 1932, S. 3): "Daß sich in diesem merkwürdigen Buch über Pyramiden-"Theorien" diese an sich richtigen, nur merkwürdig wiedergegebenen Messungen finden, soll hier doch rühmend erwähnt werden." Selbst Maragioglio & Rinaldi haben für offene Fragen auf dieses Buch zurückgegriffen. Können Sie sich heute vorstellen, daß Wissenschaftler die Bücher grenzwissenschaftlicher Autoren als Quelle heranziehen? Glauben Sie, daß irgendein Ägyptologe ein Buch, in dem nichts weiter steht als eine nicht zutreffende Theorie, zur Quelle eines wissenschaftlichen Buches machen würde?

Oder nehmen wir einfach einmal Immanuel Velikovsky, von dem wir alle mit Bestimmtheit sagen können, daß seine Thesen durchgehend unzutreffend waren. Blind könnte man aus seinen Büchern wissenschaftliche Quellen entnehmen (für die Altertumsforschung kann ich das sagen). Seine Quellenarbeit war gigantisch und zuverlässig. Können Sie sich vorstellen, daß das auch bei moderen grenzwissenschaftlichen Autoren möglich wäre? Wie oft ist es mir nun schon passiert, daß die Autoren Thesen über Sachgebiete entworfen haben, deren grundlegende Literatur sie nicht in einem einzigen Fall nennen konnten! Und wie oft kann man in modernen grenzwissenschaftlichen Büchern (pseudowissenschaftlich wäre wirklich treffender!) feststellen, daß überhaupt keine wissenschaftliche Fachliteratur mehr verwendet wird! Das Literaturverzeichnis besteht aus anderen grenzwissenschaftlichen Büchern und selbst organisierten Kongressen Gleichgesinnter. Wer, wann, was gesagt oder geschrieben hat, verliert sich irgendwo im Dunkel einer Selbstbejubelungsveranstaltung...

Sehen wir einmal bei Giorgio Santillana & Hertha von Dechend nach. Diese zwei Professoren für Wissenschaftsgeschichte haben mit "Die Mühle des Hamlet" ein zeitloses grenzwissenschaftliches Werk vorgelegt, dessen Inhalt möglicherweise nicht zutreffen wird. Trotzdem ist und bleibt es ein Meisterwerk, das durch die hohe Sachkenntnis der Autoren und deren pingelige Recherche besticht. In meinen Augen ein richtiges "Inselbuch". Bauval, Temple, etc. sind nur spärliche Abschreiber und Kopierer, die nie und an keiner Ecke das hohe Niveau der beiden Professoren erreicht haben und in Wahrheit von der Genialität und dem Fleiß ihrer Vorgänger leben. Man könnte noch nichtmal sagen, daß sie deren Geist weiterleben lassen, denn abgesehen davon, daß sie deren Überlegungen eiskalt abschreiben, verwenden sie sie doch nur dazu, um in umgestalteter und manchmal verfälschter Form eine andere These zu „stützen“.
Oder was ist mit dem Elsässer René Adolphe Schwaller de Lubicz, einem großen Esoteriker. Seine These vom Tempel als Abbild des Menschen hat nie jemand für ernst genommen, und trotzdem hat er an den Tempeln von Luxor und Karnak so fundamentale und großartige Forschungen und Publikationen vollbracht, daß Erik Hornung lobend meint (Das esoterische Ägypten, S. 181): "Viel angefeindet und von der Ägyptologie weitgehend ignoriert, gebührt Schwaller doch das Verdienst, die bisher gründlichste Studie zum Luxor-Tempel vorgelegt zu haben; wer sich mit diesem Bauwerk beschäftigt, kann an seinen Aufnahmen nicht vorbeigehen." Für den Karnak-Tempel, möchte ich hinzufügen, muß dringend das gleiche gesagt werden.

Ein sehr bekanntes Beispiel ist das von Peter Tompkins, dem Autor von "Secrets of the Great Pyramid". Tompkins hat in seinem Werk die Geschichte der Erforschung an der Großen Pyramide von Giza anhand der oft schwer zugänglichen Primärliteratur nacherzählt. Dabei gelangt er trotz einer überwiegend wertfreien Darstellung zu dem Schluß, daß die Pyramide mehr sein muß als ein Grab - was ja längst ein alter Hut ist. Tompkins' Buch zählt in den Bereich der Grenzwissenschaft. Trotzdem wird man immer und immer wieder feststellen, daß Ägyptologen auf dieses Buch verweisen. Durch den hohen Gehalt an schwer organisierbarer Information hat es sich in die Klasse ägyptologischer Literatur erhoben. Dieses Buch ist in grenzwissenschaftlichen Kreisen sehr bekannt und wird immer und immer wieder zitiert – leider nicht selten aus dem Zusammenhang. Das beste Beispiel dafür ist die Zahlenspielerei an der Cheopspyramide. Tompkins weißt ausdrücklich darauf hin, daß Smyths Zahlen falsch waren. Diese Stelle – welch Überraschung – hat noch niemand aus dem Bereich der aktuellen Grenzwissenschaft zitiert!

Nehmen wir weiterhin einmal das schon erwähnte Buch von Martin Bernal, einem modernen Grenzwissenschaftler, Professor für Sinologie und Enkel des großen Ägyptologen Sir Alan Gardiner. Das Buch hat Fehler und so manche Schlußfolgerung wird nicht standhalten. Aber Bernal ist ein Fachmann, ein richtiger Forscher mit Verstand, dessen Thesen in der Wissenschaft teilweise sogar auf fruchtbaren Boden fielen - trotz kontroverser Ansichten! Daß von der großen Riege grenzwissenschaftlicher Autoren kaum jemand den Namen Bernal kennt, liegt einfach daran, daß er den wilden Spekulationen einfach keinen Boden bereitet.

Falls jemand nicht ganz sicher sein sollte: ich spreche hier ausdrücklich von Autoren, die Themen jenseits der Wissenschaft behandelt haben. Von diesem Lob sind die anderen modernen Autoren, ob B&H, Temple, Illig oder die nicht mehr überblickbare Zahl der PS-Autoren ausdrücklich auszuschließen! Und gerade diese beherrschen die Szene durch reine Marktmacht. Wenn sich also Hancock in Sachen Tiahuanaco auf Posnansky beruft, sollte er nicht vergessen, daß dessen Pionierarbeit durchaus seine Würdigung erfährt, aber seine selektive Abschreiberei und Bezugnahme zu den Größen dieses Fachs allein für Erheiterung sorgt!

Früher - gewissermaßen in der guten alten Zeit - hatten Menschen Ideen, die über den gesteckten Rahmen der Wissenschaft hinausgingen. Um diese Ideen zu verwirklichen, um ihnen Leben - oder sagen wir doch: eine "Seele" - zu geben, haben sie jahrelang vor Ort geforscht, haben sie Daten gesammelt und veröffentlicht, jedes Details gewälzt und in großen Bänden nach Jahren der Arbeit veröffentlicht. In fast allen Fällen könnte man von einem Lebenswerk sprechen, daß sich da in einem Umschlag eingepackt wiederfindet. Mit Begeisterung und Faszination, um nicht zu sagen "Liebe", sind sie jeder Kleinigkeit nachgelaufen. In ihrem Fach – das kann man sicher sagen – waren sie Spezialisten!

Heute ist alles ganz anders. Ruckzuck, in 3 Monaten, ist so ein Buch zusammengeschustert. Neues ist schon seit 30 Jahren nicht mehr zu finden. Jeder, egal ob er PS-Thesen, Atlantis oder sonst was „beweisen“ möchte, schreibt von den Klassikern ab, oder noch schlimmer, von ohnehin schon nichtssagenden, schon abgeschriebenen Büchern. Nehmen Sie mal Tiahuanaco: Dieser „arme“ Ort ist „Beweis“ für alle Thesen gleichzeitig! Die Recherche vor Ort - falls sie überhaupt stattgefunden hat - beschränkt sich auf "schnell zwei Fotos" geschossen. Die Recherche der Literatur findet überhaupt nicht statt! Die Autoren haben nicht einmal grundlegendes Wissen über das Land, das sie bearbeiten, kennen die Primärlitartur, wenn überhaupt, nur vom Hörensagen, oder – einmal mehr – vom Abschreiben. Die Qualität der Information ist etwa derart: "In den Pyramiden existiert das Goldene Dreieck"! Fertig! Kein warum, kein wo, keine Zahlen, keine Berechnungen, keine Quellen, nichts! Allein Behauptungen... Keine Einleitung, die ein wenig Grundwissen über die Kultur vermitteln würde, keine Daten, null Daten: "In Ägypten gibt es einen Tempel, da gibt es eine Inschrift, ich kann sie nicht lesen, aber die Ägyptologen in Wirklichkeit auch nicht (die tun nur so!). Wären die nicht so blind, wüßte man längst, daß dort Hubschrauber und Panzer dargestellt gewesen wären. Aber ich, ich sage Euch die Wahrheit: Die ganze Geschichte der Menschheit muß umgeschrieben werden!" Fertig! Jeder Tourist, der einen durchschnittlich qualifizierten Reiseführer hatte, kann solchen Schrott widerlegen - von daher könnte auch jeder so ein Buch schreiben. Er muß sich nur solidarsich mit der Geldmaschine zeigen, dieses Niveau einhalten, unter 300 Seiten bleiben, über die Wissenschaft herziehen, keine Kollegen angreifen und schon kann's losgehen! Diese Autoren leben im "Land des Lächelns". Sie bestehen allein unter Ihresgleichen. Und weil ihre "Thesen" keiner näheren Überprüfung standhalten, der Markt ihnen 100%ige Kritiklosigkeit zusagt, werden sie ihr profitorientiertes Glaubenssystem solange unter die Menschen bringen, bis der Markt - wie es die BBC vorgemacht hat - diesem Wahnsinn einen Riegel vorschiebt. In Deutschland sehe ich dafür keine Chance...!

Es bereitet Schmerzen ein Fazit zu ziehen! Außer Martin Bernal fällt mir kein lebender Grenzwissenschaftler ein, der auch nur eines zweiten Blickes würdig wäre. Die Bücher sind so schlecht, daß jedes verlorene Wort darüber maximale Zeitverschwendung wäre. Die Thesen, ob Zeitraffer oder Obelisken als Raketen, sind derart substanzlos, daß man sich ernsthaft fragen muß, wie schlimm es eigentlich noch werden kann. Die "Aktivisten" des Marktes kennen zwar den Markt und den Weg zum Geld, aber ihre "real existierende" Ahnungslosigkeit bietet beinahe täglich neue Rekorde. Es ist wirklich mehr als auffällig, daß die Qualität der Grenzwissenschaft exakt in dem Moment auf den Nullpunkt gesunken ist, als man damit angefangen hat Geld zu verdienen.

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