Medien & Kritiklosigkeit
Grenzwissenschaft heute II

Medien und Kritiklosigkeit

Wer sich einmal auf dem Sektor englischsprachiger Bücher umsieht, der wird sehr schnell überrascht feststellen, daß die Anzahl kritischer Literatur – ganz in Gegenteil zum deutschsprachigen Bereich - enorm ist. Zu verweisen ist auf jeden Fall auf das schon oben aufgeführte Buch "Giza: The Truth", das eigentlich das Werk zweier Laien ist. Trotzdem hat es erhebliche Bewegung in die ganze Angelegenheit um Orion gebracht. Fairells erstes Statement gegen Bauval findet sich dort. Auch das TV geht - wie unser BBC-Beispiel zeigt - nicht nur den Weg fertige, kritiklose Produktionen abzuspielen, sondern ist sich einer kritischen Verantwortung bewußt, die sich - wie auch in Amiland - irgendwie aus einem erhöhten Demokratierverständnis und Informationsbedürfnis heraus zu bilden scheint.

In Deutschland sieht das alles - leider - etwas anders aus! Wie schon in meinen Buchbesprechungen gelegentlich deutlich anklingt, gibt es ganz erstaunliche (erschreckende?) Lücken im Markt, für deren Füllung sich niemand so richtig verantwortlich fühlen will. Nicht nur, daß out-of-Print's hier nur selten eine Neuauflage erfahren. Wenn Sie deutsche Klassiker (z.B. Heinrich Schäfer's: „Von ägyptischer Kunst“) noch kaufen möchten, eine englische Übersetzung bekommen sie immer. Selbst Fachliteratur bleibt dem englischsprachigen Leser dauerhaft erhältlich. Auch im Bereich der englischsprachigen Top-Klassiker (z.B. B.J. Kemp: Ancient Egypt) bleibt die sonderbare Feststellung, daß dieses Buch bis heute (es ist von 1989) keine deutsche Übersetzung erlebt hat. Mit einem relativ kleinen Markt läßt sich das nicht mehr begründen, zumal sonst jeder Unsinn sofort einen deutschen Verleger findet, und der Markt dafür längst künstlich geschaffen wird. Und hat sich ein Verlag einmal auf die Herausgabe einer wichtigen Werkes geeinigt (M. Bernal: Schwarze Athene), bleibt nach dem ersten Band (Zweiteiler) nur noch die englischsprachige Ausgabe. Wenigstens ist sie billiger!

Wenn man sich den Rest des deutschen Marktes so ansieht, kann man schwerlich umhin, ihm allein Low-Cost-Format mit möglichst niedrigem Informationsgehalt zu bescheinigen. Es gibt im Jahr sicher um die 50 Neuerscheinungen, die sich mit Paläo-Seti-Fragen befassen. Es gibt ein Buch - nur ein einziges - das dazu kritisch Stellung bezieht. Von Verhältnismäßigkeit wird man schwerlich reden können, und der Markt allein kann auch nicht der Grund sein, wie die Verkaufszahlen im englischsprachigen Sektor zeigen. Auch an Autoren mangelt es nicht. Von Frank Dörnenburgs Absage durch den Herbig-Verlag in München, weiß man hier allgemein bescheid. Den meisten "Insidern" ist aber nicht bekannt, daß es darüberhinaus noch ganz unbekannte Namen gibt, die vorbildlich recherchierte, an Universitäten geprüfte Sachverhalte in Buchform herausbringen wollten und am Verlag gescheitert sind. "In Deutschland erscheint kein Buch zu grenzwissenschaftlichen Themen, ohne daß es über meinen Schreibtisch geht", verkündet Hermann Hemminger, Lektor beim Herbig-Verlag und allem was dazugehört (und das ist zwischenzeitlich einiges), um Frank Dörnenburg mitzuteilen, daß seine Anfrage bei zwei Verlagen außerhalb des Herbig-Imperiums den selben Weg gehen muß. Nun, da muß was dran sein, denn zwei weitere Versuche anderer Autoren zeigen: genau so ist es!

Ganz aktuell ist, daß der Rowohlt-Verlag ein kritisches PS-Buch bringen wird. Zu früh noch, um sich mit Gewißheit darauf zu freuen, und zu wenig, um damit einen Informationsausgleich zu schaffen. Etwas übertrieben betrachtet haben wir hier das Bild, daß man im Regal entweder grenzwissenschaftliche Literatur oder Bildbände findet. D.h., daß wir zwar eine Grundversorgung haben, exakte Informationen aber in keinem Fall erhältlich sind.

In der aktuellen Ausgabe (Dezember 99) des deutschen National Geographic Magazin schreibt ein deutscher Leser, daß es nicht notwendig sei, in Deutschland so genau über andere Länder zu berichten, denn der Deutsche wüßte da ohnehin besser bescheid als der Amerikaner. Das könnte ein folgenschwerer Irrtum sein! Der Informationsfluß in Deutschland steht - jedenfalls kann ich nicht sehen, wie der deutsche Leser oder Fernsehzuschauer an die neuesten Informationen zur Orion-These gelangen könnte! (Das ist nur ein Beispiel.) Und gerade hierher gehört diese Information, denn das Buch stand in der selbstverständlich existierenden deutschen Übersetzung auf den Bestsellerlisten! Auch auf das TV ist bei uns nicht zu hoffen, denn außer dem langweiligen und fehlerreichen Quarks & Co müssen wir sogar hier die Produkte aus englischen Originalen importieren - "Discovery" ist nur ein Beispiel (übrigens auch für Qualität!)! Und wenn sich im deutschen National Geographic Magazin die Leser über zuviele amerikanische Autoren beschweren, sollten sie sich kurz daran erinnern, daß sie sich selbst in einer aus Amiland importierten Zeitschrift lesen können! Im deutschen TV ist es noch schlimmer: Können Sie sich eine Sendung vorstellen, in der Wissenschaftler ernsthaft mit Grenzwissenschaftlern diskutieren - so wie es BBC-Horizon vorgemacht hat? Ich meine nicht vom Publikum zwangsorientierte Sendungen im nachmittäglichen Privatfernsehen, sondern denke an Ansprüche, wie sie die BBC gesteckt hat. Von preisgekrönten Dinosauriersendungen bis zum herausragenden Dreiteiler über die Kultur der Maya leben wir nur noch von Importen, wobei sich die Selektion dieser Importe schon wieder nach deutschen Maßstäben zu richten hat. Ich würde das als ziemliches Dilemma ansehen. Die deutsche Medienlandschaft möchte mit den großen Schlagzeilen grenzwissenschaftlicher Thesen Geld und Zuschauer gewinnen - die nötigen Informationen will sie ihm vorenthalten. Daß der Deutsche von seiner durchschnittlichen Bildung her über dem Amerikaner steht, wird jeder bestreiten, der sich im deutschprachigen www auf solche Themen einläßt. Was Sie dort erleben, läßt Sie sicher an jedem Bildungsvorsprung zweifeln! Der englischsprachige Leser hat immerhin die Chance, die Informationen zu bekommen. Ob er diese Möglichkeit wahrnimmt, liegt an ihm selbst. Der deutsche Leser hingegegen hat keine Chance!

Der Grenzwissenschaft in Deutschland ist damit ein toller Coup geglückt: sie haben sich eine fast 100% kritikfreie Zone geschaffen, in der sie schalten und walten können, wie es ihnen beliebt! Der wohlmeinende Leser hat selbst im Falle eines zufällig entstandenen Bedarfes keine Chance sich Informationen zu beschaffen. Carl Sagan zeigt das in seinem wunderbaren Buch "Der Drache in meiner Garage - Die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven" am amerikanischen Beispiel von Mr. Buckley auf (S. 17ff.). Mr. Buckley, ein bekannter TV-Reporter, richtete einige Fragen zu grenzwissenschaftlichen Themen an Sagan, die dieser mit wenigen kurzen Hinweisen auf die Faktenlage beantwortete. Sagan schreibt:

Mr. "Buckley" - ein redegewandter, intelligenter, neugieriger Mann - hatte praktisch keine Ahnung von moderner Wissenschaft. Er hatte einen natürlichen Wissensdurst. Er wollte wirklich etwas über Wissenschaft erfahren. Nur war alle Wissenschaft bereits herausgefiltert worden, ehe sie ihn erreichte. Unsere kulturellen Motive, unser Bildungssystem, unsere Kommunikationsmedien hatten diesen Mann im Stich gelassen. Was die Gesellschaft durchsickern ließ, war in erster Linie vorgetäuscht und verwirrend. Sie hatten ihm nie beigebracht, echte Wissenschaft von ihrem billigen Imitat zu unterscheiden. Er hatte keine Ahnung, wie Wissenschaft funktioniert.

Wer das Problem nicht so eng sehen möchte, sei auf die Zeitschrift Kemet verwiesen - Deutschlands einzige Fachzeitschrift für Freunde der Ägyptologie. Selbst hier, in diesem beschränkten Kreis, der nur über Museumsbesucher, etc. zusammenkommen kann, da die Zeitschrift nicht am Kiosk erhältlich ist, vergeht fast keine Ausgabe mehr, ohne daß ein Beitrag versucht, Thesen von Bauval, Sitchin oder Illig an den Mann zu bringen. In der Schweiz entsteht ein „Freizeit-Park“, der nichts anderes macht, als grenzwissenschaftiche Theorien gleich im Zehnerpack unter das Volk zu bringen. Und während längst Marketingstrategien bestimmen, wer, wann, was zu lesen und anzusehen hat, stellt sich die Frage, ob im deutschsprachigen Raum wirklich niemand mehr verantwortlich für die massenhafte Verbreitung einseitiger Darstellungen ist.

Ludwig Borchardt hat das schon 1922 als "Epidemie" bezeichnet. Ich denke, er erläge dem blanken Entsetzen, könnte er so viele Jahre nach seinem Tod noch miterleben, wie und mit welchen Mitteln diese "Epidemie" ohne Unterlaß unter die Menschen gebracht wird. Borchardt schrieb einst:
(Gegen die Zahlenmystik an der großen Pyramide bei Gise. Vortrag gehalten in der Vorderasiatisch-ägyptischen Gesellschaft zu Berlin am 1. Februar 1922, S.1):

Meine Damen und Herren!
Etwa vor 30 Jahren wurde mir gelegentlich von einer Diphterie-Epidemie erzählt, daß diese Epidemie dadurch entstanden sei, daß ein Kind Spielsachen von einem in einer früheren Epidemie verstorbenen Kinde benutzt und sich dadurch die Krankheit zugezogen habe. Die Mediziner unter Ihnen werden mir vielleicht sagen, das sei unwahrscheinlich, es werde vielmehr zwischen den beiden Epidemien weniger schwere Zwischenfälle gegeben haben, die die Seuche weitertrugen, bis sie zu neuer Stärke wieder aufflammte. Wie dem auch sei, mir viel jedenfalls diese alte Erzählung wieder ein, als im letzten Jahre bei uns in Deutschland eine Epidemie auf dem Gebiete der mit den Maßen der großen Pyramide bei Gise arbeitenden Zahlenmystik ausbrach, eine Epidemie, wie sie zuletzt in den fünfziger bis achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts namentlich in England gewütet hatte, die ich aber seit ihrer wirkungsvollen Bekämpfung durch W. Flinders Petrie im Jahre 1883 für dauernd erloschen gehalten hatte.

Borchardt schrieb noch auf derselben Seite, daß die Bekämpfung dieser Epidemie "nur durch möglichst weit zu verbreitende Aufklärung" möglich sei. Er konnte damals noch nicht wissen, daß diese Epidemie nie aussterben wird, und daß sie einmal allein durch den Geruch des Geldes und den süßen Geschmack medialer Macht ausgelöst werden könnte. Daß aber das Mittel der "Aufklärung" nicht mehr funktioniert, und daß die einzige Chance für einen Informationsausgleich damit regelrecht eliminiert ist, der Leser und TV-Zuschauer den pseudowissenschaftlichen Darstellungen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, das würde auch Ludwig Borchardt nicht mehr verkraften können. Zwischenzeitlich lebt die Grenzwissenschaft nämlich vom Geld und von der Unwissenenheit der Leser. Aber das war nicht immer so...

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