Grenzwissenschaft heute

Wissenschaft und die Orion-Pyramiden-Theorie

Dort draußen gibt es genügend Wunder,
ohne daß wir welche erfinden müßten.
Carl Sagan

In den letzten Monaten hat sich für die Grenzwissenschaft - fast unbemerkt von den Betroffenen selbst - ein erheblicher Wandel vollzogen. Darüberhinaus gibt es noch einen weiteren allmählichen Wandel, der über die Qualität der grenzwissenschaftlichen Arbeit Auskunft gibt. Über diese Veränderungen will ich hier ein wenig Material zusammenfassen, das sich zunächst an dem aktuellen Beispiel der weit verbreiteten These Robert Bauvals über eine Korrelation zwischen den Pyramiden von Giza und den Sternen des Orion orientieren will.

Bauvals These, die besonders von Graham Hancock aufgegriffen wurde, muß ich nicht aufwendig vorstellen. 10 Millionen Verkäufe hat das erste Buch allein erreicht. Es geht darum, daß die Pyramiden den Oriongürtel nachbilden, und das zu einer bestimmten Zeit, nämlich 10.500 v.Chr. B&H (Bauval und Hancock) halten diesen "Augenblick" für einen Code, der über eine uralte irdische Zivilisation Aufschluß geben will, die den anderen nachfolgenden Zivilisationen den Anstoß gegeben haben soll. Atlantis in neuen Farben.

Daß diese These nicht durchkommt und keiner ernsthaften Überprüfung standhält, ist Thema vieler Besprechungen, Bücher, Websites und Aufsätze gewesen. Deswegen soll der kurze Überblick über das vorhandene Material und die wichtigsten Sites eine erneute Punkt-für-Punkt-Widerlegung ersetzen:

Nun ist etwas passiert, was für die Grenzwissenschaft eine völlig neue Erfahrung war. Bisher zogen Thesen ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Falsifizierbarkeit in bunten Bildern mit spannender Musik untermalt ins TV, so daß der Zuschauer nichts anderes gewinnen konnte, außer der Gewißheit, soeben neue Wahrheiten über die Vergangenheit des Menschen erfahren zu haben. Dieses Phänomen ist weltweit anzutreffen und im Falle dieser These hatte bisher Graham Hancock die Streifen mit seiner eigenen Produktionsfirma distribuiert. Auch im Deutschen Fernsehen ist man ja an solchen Eigenproduktionen immer gern interessiert, weil das Thema einfach Menschen anzieht und Einschaltquoten ungeachtet des Inhaltes aus ökonomischen Gründen stets das entscheidende Kriterium bilden werden. Dem durchschnittlichen Zuschauer ist im Normalfall nicht bekannt, ob die These einer Überprüfung standhalten würde. Da niemand danach frägt, wird es schon stimmen. Zum erstenmal überhaupt hat die BBC diesen Kreislauf unterbrochen und B&H zu einer Diskussion mit Gegnern in der Reihe Horizon geladen. Diese Diskussion ist z.Zt. das Ereignis im Web und zum Thema überhaupt! Davon nicht betroffen ist allein der deutschsprachige Raum. Deshalb will ich über zwei wichtige Ereignisse zu diesem Thema berichten.

In unserer Diskussion muß sich Hancock zum erstenmal überhaupt den Kritiken der Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen stellen. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn er der Kritik ebenbürtig auftreten könnte, oder zumindest irgendwie auf ernsthafte Fragen vorbereitet gewesen wäre. Leider hat sich die Sendung für B&H zum totalen Fiasko entwickelt. Hier ein paar Kostproben:

DR. ED KRUPP (Griffith Observatory, Los Angeles): When The Orion Mystery came out my curiosity was naturally aroused. Anybody comes up with a good idea about ancient astronomy I want to know about it and in going through the book there was something nagging. In The Orion Mystery there's a, a nice double page spread and anybody looking at this would say ah, Giza pyramids, belt of Orion, one kind of looks like the other, you know you've got 3 in a row, 3 in a row, slanted, slanted, we've got a map and what I was bothered by turned out to be really pretty obvious. In the back of my head I knew that something was wrong with these pictures and what's wrong with these pictures in their presentation is that north for the constellation of Orion is here at the top of the page. North for the Giza pyramids is down here. Now they're not marked, but I knew which way north was at Giza and I knew which way north was in Orion. To make the map of the pyramids on the ground match the stars of Orion in the sky you have to turn Egypt upside down and if you don't want to do that then you've got to turn the sky upside down.

Deutsch:
Als das Geheimnis des Orion herauskam war natürlich meine Neugierde erweckt. Wenn jemand mit einer guten Idee über alte Astronomie kommt, möchte ich über sie bescheid wissen und beim Durchstöbern des Buches gab es etwas zum Herumnörgeln. In Das Geheimnis des Orion wird eine Doppelseite ausgebreitet und jeder, der sie sieht, wird sagen: ah, Pyramiden von Giza, Gürtel des Orion, eines sieht aus wie das andere, du weißt, du hast drei in einer Reihe, drei in einer Reihe, geneigt, geneigt, wir haben eine Karte und worüber ich verägert war, war die wirklich schöne Offensichtlichkeit. Im Hinterkopf wußte ich, daß etwas falsch war an diesen Bildern, und was an diesen Bildern in ihrer Wiedergabe falsch war ist, daß der Norden der Konstellation des Orion hier oben auf der Seite ist. Norden für die Giza-Pyramiden ist hier unten. Also sie sind nicht direkt markiert, aber ich wußte, wo Norden in Giza und Norden im Orion war. Um die passende Karte der Pyramiden auf dem Boden und des Orion im Himmel zu produzieren, mußt Du Ägypten umdrehen und wenn du das nicht willst, mußt du den Himmel drehen.

GRAHAM HANCOCK: Ed Krupp's argument that the, that the pyramids are somehow upside down in relation to the, to the patterns of the, of the stars in the sky to, to my mind is, is a very pedantic and nit-picking and ungenerous attitude. I think that what we're proposing that the Ancient Egyptians were making a pleasing, symbolic resemblance to what they saw in the sky on the ground is a very reasonable argument.

Deutsch:
Ed Krupps Argument, daß die Pyramiden irgendwie im Verhältnis zur Vorlage der Sterne am Himmel auf dem Kopf stehen, ist nach meiner Meinung sehr pedantisch, Erbsenzählerei und knauserig. Ich denke, daß unser Vorschlag, nach dem die alten Ägypter eine zufriedenstellende und symbolische Abbildung auf dem Boden erzeugten, von dem was sie im Himmel sahen, ein sehr vernünftiges Argument ist.

Immerhin ist Hancock klar, daß die Pyramiden "irgendwie" verkehrt herum da stehen. In den oben genannten Quellen ist das schon längst eindrücklich dargelegt und Paolo Piaggio hat alle Daten gesammelt und grafisch und tabellarisch aufbearbeitet. Nach diesen Daten muß man die Pyramiden erstmal um 180 Grad, dann nochmal ein Stück (s.u.) drehen, um dann ein wenig an den Pyramiden hin- und herzuschieben, damit sich beide Bilder endlich decken, wobei die Leuchtkraft der Sterne mit den Pyramiden nach wie vor nicht in Einklang zu bringen ist. Die Mykerinospyramide steht dann trotzdem noch mehr als eine Seitenlänge von dem Punkt weg, an dem sie der These nach stehen müßte! Die Behauptung, daß Sterne und Pyramiden "korrelieren" ist also nicht weniger als reine Einbildung. Dr. Krupps Bemerkung dazu mit "pedantischer Fehlersucherei" und "knauserigen" Standpunkten zu kontern, ist nicht weniger als das ungewollte Eingeständnis eines großen Irrtums.

Dazu Dr. Krupp:

ED KRUPP: ...That means the Egyptians in building and laying out the pyramids said we know where north is and we care about it because we've incorporated it into the architecture. The Egyptians were perfectly capable of drawing the pyramids right if they wanted to. If they wanted Orion's belt to look like Orion's belt on the ground and match up with the north and south sides of the pyramid they could have done that.

Deutsch:
...Das bedeutet, daß die Ägypter beim Errichten und Anordnen der Pyramiden sagten: wir wissen wo Norden ist und wir berücksichtigen es, indem wir es in die Architektur einbinden. Die Ägypter waren absolut in der Lage die Pyramiden richtig anzulegen, wenn sie das wollten. Wenn sie gewollt hätten, daß es aussieht der Gürtel des Orion auf dem Boden, und daß es mit den Süd- und Nordseiten der Pyramiden übereinstimmt, dann hätten sie das tun können.

Damit ist das logischste aller Argumente vorgebracht - nämlich das, das ich selbst immer wieder für diesen Fall verwende:
Hätten die alten Ägypter mit den Pyramiden ein Abbild des Oriongürtels erstellen wollen, dann hätten sie es ganz einfach getan! Die Fähigkeit, astronomische Realitäten in ihre Bauten einzubringen, ist allein durch die praktisch exakte Ausrichtung der Pyramidenseiten nach den Himmelsrichtungen (und die millimetergenaue Umsetzung dabei) erwiesene Tatsache. Es folgt also die - zwischenzeitlich, weil die Daten ja eben nicht stimmen! - notwendige Ausrede, daß die Pyramiden nur "symbolisch" den Orion darstellen. Diese Aussage ist natürlich von maximaler Bedeutungslosigkeit, ja von Vermessenheit, denn wer seinen Lesern suggeriert, ohne jeden Hinweis eine Symbolik deuten zu können, hängt sich nicht nur weit aus dem Fenster, er ist schon herausgefallen! Wie uns der Moderator der Sendung erläutert, geht das nicht ohne weitere Schwierigkeiten aus:

NARRATOR: Even if the pyramids are merely a symbolic impression of the sky, there are other problems. There are more than 16 stars in Orion. Robert Bauval originally argued that two other pyramids also matched stars, but a simple test shows that there is no fit. There are more than 80 pyramids in Egypt and 29 within a 30-mile radius of Giza. Among all of these there are no convincing matches between stars and pyramids. But Hancock and Bauval still stand by their theory.

Deutsch:
Gerade weil die Pyramiden lediglich ein symbolischer Eindruck des Himmels sind, gibt es andere Probleme. Es gibt mehr als 16 Sterne im Orion. Robert Bauval argumentierte ursprünglich, daß zwei weitere Pyramiden zu den Sternen passen, aber ein einfacher Test hat gezeigt, daß sie nicht passen. Es gibt mehr als 80 Pyramiden in Ägypten und 29 innerhalb eines 30 Meilen-Radius um Giza. Unter all diesen gibt es keine überzeugende Übereinstimmung zwischen Sternen und Pyramiden. Aber Hancock und Bauval bleiben noch bei ihrer Theorie.

Der Hinweis, daß es im Orion weit mehr als diese drei Sterne gibt, die keine Pyramiden haben - vice verso, daß es Pyramiden gibt, für die die Sterne fehlen, gehört zu den ältesten Argumenten gegen die Orion-These überhaupt. Und Hancocks Antwort auf diesen simplen Umstand gibt der Grenz- bzw. Pseudowissenschaft eine neue Qualität: die Argumentation verliert sich irgendwo zwischen Spiritualität und esoterischen Einweihungen, denn hier sollen Dinge gesehen werden, die es nicht gibt, oder zumindest nur für Orion-"Eingeweihte":

GRAHAM HANCOCK: I don't need every pyramid in Egypt to map a star in the sky. The people who built these monuments were making a grand symbolic statement that was supposed to be understood on an intuitive and spiritual level.

Deutsch:
Ich brauche nicht jede Pyramide, um einen Stern im Himmel zu kartieren. Die Leute, die diese Pyramide errichtet haben, verfertigten ein großarziges symbolisches Statement, das auf einem intuitiven und spirituellen Level verstanden werden sollte.

Das ist Esoterik pur, obwohl ich mir Hancock nicht unbedingt betend in der Königskammer vorstellen kann. Man sollte dabei keine Sekunde vergessen, daß selbsternannte Wissenschaftler dieses Schlages in ihren Büchern Wissenschaftshetze übelster Sorte betreiben. Ich will dazu Hancock selbst als Beispiel anführen. Um eine grenzwissenschaftliche Arbeit überhaupt rechtfertigen zu können, sind nämlich von Haus aus unzutreffende Behauptungen notwendig:

GRAHAM HANCOCK: According to Egyptologists those pyramids are tombs and tombs only. They have no other function whatsoever and they were built to serve as the tombs of 3 Pharaohs of the 4th dynasty - Khufu, Khefren and Menkaure - and that's the end of the story really as far as orthodox Egyptologists are concerned. I think there's room for a reconsideration of what the pyramids might be and in order to reconsider that information I think it's very important that we take astronomy into account.

Deutsch:
Nach den Ägyptologen sind diese Pyramiden Gräber und zwar nur Gräber. Sie haben keine andere Funktion, welche auch immer, als für die drei Könige der 4. Dynastie - Cheops, Chephren und Mykerinos - als Grab zu dienen, und das ist das Ende der Geschichte soweit sich die orthodoxen Ägyptologen darauf beziehen. Ich denke, es gibt Raum für eine nochmalige Überprüfung dessen, was die Pyramiden sein könnten, und um diese Informationen neu zu betrachten, denke ich, daß es sehr wichtig wäre die Astronomie mit einzubeziehen.

Daß Pyramiden in den Augen der Ägyptologen nur Gräber sind, ist eine erbärmliche Erfindung, die hier (und auch sonst oft genug) benötigt wird, um "alternative" Sichtweisen überhaupt erst zu rechtfertigen. Hätte Hancock - und das könnte schon zum nächsten Thema überleiten - auch nur eine grobe Ahnung von der Materie, über die er schreibt, wüßte er, daß die Ägyptologie die Pyramiden in Wirklichkeit so sieht:

Diese Funktion der ägyptischen Architektur ist zweifacher Natur. Jeder ägyptische Baukomplex ist Zweckbau im materiellen Sinn des Wortes, dient also einer praktischen Verwendung. Die Mastaba und die Pyramide z.B. haben die praktische Funktion eines Grabes,... Die zweite - wesentlichere - Funktion der ägyptischen Architektur ist eine geistige, religiöse. Mit dem Sakralbau schafft der alte Ägypter die Vergegenständlichung und bleibende Fixierung gedanklicher Konzepte. So wird das Grab zum Wohnhaus des Toten, zum Instrument der Auferstehung und zum Garanten ewigen Lebens.
Dietrich Wildung: "Architektur", in: Lexikon der Ägyptologie, Bd. I,1975 Sp. 396f.

Aber zurück zur Frage, warum nach Hancock die drei Pyramiden trotz offensichtlicher Drehungen und Wendungen die Gürtelsterne zeigen sollten. Dr. Krupp trifft den Punkt:

ED KRUPP: It is hard to invest a lot of intellectual effort into 3 stars in a row and 3 pyramids on the ground. That's like a simple configuration and it's very easy to find 3 things in a row and if, if you know there are roughly 81 or so pyramids in Egypt well yeah if all 81 of 'em mapped the sky perfectly I'd be impressed, but if 3 of them mapped the sky sort of I'm not impressed.

Deutsch:
Es ist schwer viel intellektuellen Aufwand in drei Sterne in einer Reihe und drei Pyramiden auf dem Boden zu investieren. Das ist eine einfache Konfiguration und es ist sehr einfach drei Dinge in einer Reihe zu finden, und wenn du weißt, es gibt etwa 81 Pyramiden in Ägypten, klar, wenn alle 81 perfekt den Himmel wiedergeben würde, wäre ich begeistert, aber wenn drei von ihnen ausgesuchte den Himmel kartieren, bin ich nicht beeindruckt.

Das ist der Punkt: Drei Tempel, drei Pyramiden, was auch immer, man wird schnell drei Bauwerke finden - besonders in Ägypten -, die in einer Reihe liegen. Daraus ist nichts ableitbar! Die Pyramiden-Orion-These kann - gerade weil sonst nichts zusammenpaßt - auf eine gewisse mathematische Genauigkeit nicht verzichten. Drei Pyramiden in einer Reihe - und mehr haben wir hier nicht - bleiben ohne jede Ausssage. In Abusir z.B. finden wir auch drei Pyramiden in einer Reihe. Sie stimmen natürlich auch nicht auf unser Sternenbild, aber das macht ja nichts, man muß es eben "spirituell" sehen. Das ist keine "These", das ist reinste Willkür! Und wenn Hancock trotz der Fehler von einer Korrelation spricht, läge es an ihm, die Argumente dafür anzubringen.

Man darf dabei auch nicht vergessen, daß nicht nur Pyramiden und Sterne gar nicht übereinstimmen, sondern daß von Anfang an alle anderen Pyramiden und Sterne ignoriert werden mußten, die sich der These nicht unterordnen wollten!

Der Moderator hackt weiter auf den Einzelheiten herum:

NARRATOR: In June 1999 astronomer Anthony Fairall made another discovery. He re-examined that precise 45 degree angle that seemed to link the pyramids with the belt stars. Fairall found that the match was not as precise as originally claimed. The angle of the pyramids is 38 degrees, and that of the belt stars is 50 degrees. Asked about this discrepancy Hancock and Bauval argued that it's the symbolism not the precise calculations that matter.

Deutsch:
Im Juni 1999 machte der Astronom Anthony Fairall eine andere Entdeckung. Er überprüfte den 45 Grad Winkel, der die Pyramiden mit den Gürtelsternen zu verbinden schien. Fairall fand heraus, daß die Übereinstimmung nicht so genau war wie ursprünglich gefordert. Der Winkel der Pyramiden ist 38 Grad, und der der Gürtelsterne beträgt 50 Grad. Nach der Diskrepanz befragt argumentierten Hancock und Bauval, daß es der Symbolismus ist, der zählt, nicht die präziesen Kalkulationen.

Jetzt kommen wir zum Punkt, der die ganze These erstickt:
B&H haben aus der ohnehin nicht zutreffenden Korrelation sogar ein präzieses Datum abgeleitet, nämlich 10.500 v.Chr., das Jahr, in dem die Korrelation am besten übereinstimmen sollte. Fairalls Beobachtung, daß sogar das extrem falsche Daten sind, kommentiert Hancock so:

GRAHAM HANCOCK: No they're not absolutely correct and I don't care. I, I have to stress that in my view the Ancient Egyptian priesthood was not staffed by anal-retentive bureaucrats. The Ancient Egyptian priesthood was, was a group of, of creative and imaginative thinkers who were exploring the mystery of life and death and who believed that there was a connection between ground and sky. They wanted to make a resemblance on the ground of a particular moment in time.

Deutsch:
Nein, sie sind nicht absolut korrekt und das juckt mich nicht. Ich muß hervorheben, daß nach meiner Sicht die altägyptische Priesterschaft nicht mit wortklauberischen Bürokraten besetzt war. Die altägyptische Priesterschaft war eine Gruppe von kreativen und phantasievollen Denkern, die das Mysterium von Leben und Tod erforschten, und die an eine Verbindung zwischen Himmel und Erde glaubten. Sie wollten eine große Ähnlichkeit am Boden eines ganz bestimmten Zeitpunktes erzeugen.

Ja, ich suche auch die Antwort! Hancock gibt zu, daß seine Daten nicht stimmen, aber baut - bekannter Trick! - einen Nebenkriegsschauplatz auf - a la "um zu sehen, was ich sehe, muß man kreativ und imaginativ denken". Mit diesem Fehler ist seine ganze These eines zeitlichen Schnappschusses um 10.500 v.Chr. wertlos geworden und trotzdem beharrt er weiter darauf. Schade, daß der Moderator nicht weiter dazu Stellung bezogen hat! Daß dieser zeitliche Schnappschuß nämlich alles zeigt, nur nicht 10.500 v.Chr., wäre eine interessante Fortsetzung dieser Debatte gewesen!
Dafür gab es einige andere Punkte, die noch besprochen wurden. U.a. ging es da um Angkor Wat und ein Sternbild des Drachen, das - welch' Überraschung - ein Schnappschuss des Sternbildes um 10.500 v.Chr. sein soll, obwohl in Kambodscha ein solches gar nicht bekannt war. Und dann kommt der nächste Punkt:

GRAHAM HANCOCK: As to who would have built Tiwanaku what we might be talking about is the survivors of the lost civilisation, people who have moved into the mountains to, to create a, a new settlement to try to preserve something of their culture, something of their tradition, something of their religious ideas.

Deutsch:
Wenn wir über die Leute reden dir Tiahuanaco erbaut haben, so könnten wir über Überlebende einer verlorenen Zivilisation sprechen, über Menschen die in die Berge flüchteten und eine neue Siedlung gründeten mit der sie versuchten, etwas von ihrer Kultur zu bewahren, etwas von ihrer Tradition, und einige ihrer religiösen Ideen.

Tiahuanaco, eine Ruinenstätte im bolivinaischen Hochland soll, so Hancock, von den Überlebenden seiner nicht auffindbaren Urzivilisation errichtet worden sein. Ein alter Hut. Die Begründung liefert der Moderator:

NARRATOR: For evidence Hancock turned to the writings of Arthur Posnansky. He believed Tiwanaku was the ancient cradle of american civilisation. Posnansky stumbled on the ruined ancient city at the turn of the century and became a self-appointed expert on the mysterious site. He claimed Tiwanaku was an ancient astronomical observatory. He believed that particular stone blocks had once been positioned to face the sun as it rose above the horizon at the winter and summer solstices, but like the constellations, the position of the solstices changes very slowly over time and Posnansky found the best match between the stone blocks and the rising sun 12,000 years ago.

Deutsch:
Hanock wendet sich z.B. an die Schriften von Arthur Posnansky. Er glaubte, Tiahuanaco war die Wiege der amerikanischen Zivilisation. Posnansky stolperte zur Jahrhundertwende über die Ruinen der alten Stadt und wurde ein selbsternannter Experte des rätselhaften Ortes. Er behauptete, Tiahuanaco sei ein altes astronomisches Observatorium. Er glaubte, daß bestimmte Steinblöcke einst so positioniert waren, daß sie die Sonne bei ihrem Aufgang am Horizont zur Winter- und Sommersonnenwende bedeckten, aber wie bei den Konstellationen ändert sich die Position über die Zeit nur sehr langsam und Posnansky fand die beste Übereinstimmung zwischen den Blöcken und der aufsteigenden Sonne vor 12.000 Jahren.

Diese Stelle ist wichtig! Hancock beruft sich - wie immer ist er nicht selbst zuständig! - auf Arthur Posnansky, einen Hobby-Archäologen, der viele Jahre in Tiahuanaco lebte und wesentliche und wissenschaftlich wertvolle Arbeit leistete. Mit seiner Behauptung war er natürlich im grenzwissenschaftlichen Bereich unterwegs, was (s.u.) erstmal keine Wertung über seine restliche Arbeit sein darf.

GRAHAM HANCOCK: Arthur Posnansky, who is by no means a favourite with orthodox scholars, but did spend 50 years of his life studying Tiwanaku from the early 1900s up until the 1940s, made a very strong case that the alignments, the original alignments of Tiwanaku had been set out at a time when the rising point of the sun was quite different from, from where it is today at the winter and summer solstices and he dated that approximately to about 12,000 years ago.

Deutsch:
Arthur Posnansky, der auf keinen Fall ein Favorit der orthodoxen Gelehrten ist, verbrachte 50 Jahre seines Lebens mit dem Studium von Tiahuanaco, von den frühen 1900tern bis zu den 1940ern, erbrachte einen handfesten Beweis dafür, daß die Ausrichtung von Tiahuanaco vorgenommen wurde, als der Aufgangspunkt der Sonne ganz anders als an den Winter- und Sommersonnenwende heute lag und er datierte das ungefähr 12.000 zurück.

NARRATOR: But how good is the evidence that Hancock relies on? Has Posnansky's work stood the test of time? Tiwanaku is in a ruinous state. Its great blocks lie shattered and fallen. That's because in the 17th-century the Spanish Conquistadors arrived in this region of the Andes. They set about destroying this pagan monument. The Spanish broke up the site, moved hundreds of blocks and built a cathedral with them nearby. No-one knows where many of the remaining blocks were originally positioned. Posnansky could only guess that they might once have been aligned with the rising sun, yet this was his most important evidence. Posnansky died in 1948. That means he missed a revolution in archaeological science, one that might have changed his mind about the age of the site. Carbon dating is a method that has provided increasingly reliable dates for archaeological sites all over the world, including Tiwanaku. The very earlier signs of human habitation, probably a small village, are just 3,500 years old. The great stone monuments were begun only 2,000 years ago, nowhere near 10,500BC. So how does Graham Hancock deal with this information in his recent book?

Deutsch:
Aber wie gut sind die Hinweise, denen Hancock vetraut? Hat Posnanskys Arbeit den Lauf der Zeit überstanden? Tiahuanaco ist in einem zerstörten Zustand. Seine großen Blöcke liegen zertrümmert und umgefallen. Das kommt von den spanischen Eroberern im 17. Jahrhundert, als sie in dieser Region der Anden ankamen. Sie nahmen die Zerstörung des heidnischen Monuments in Angriff. Die Spanier brachen den Ort ab, verschleppten hunderte von Blöcken und errichteten aus ihnen eine nahegelegene Kathedrale. Niemand weiß, wo die meisten der verbliebenen Blöcke ursprünglich positioniert waren. Posnansky konnte nur vermuten, daß sie einst mit der aufgehenden Sonne angelegt wurden, dennoch war das sein wichtigster Hinweis. Posnansky starb 1948. Das bedeutet, daß er eine Revolution in der wissenschaftlichen Archäologie versäumte, eine die seine Meinung über das Alter des Ortes hätte ändern können. Karbondatierung ist eine Methode, die für zunehmende Zuverlässigkeit von Datierungen archäologischer Orte überall in der Welt sorgt, auch in Tiahuanaco. Die absolut frühesten Zeichen für menschliche Siedlung, wahrscheinlich ein kleines Dorf, sind gerade einmal 3.500 Jahre alt. Die großen Steinmonumente wurden erst vor 2000 Jahren begonnen, nirgendwo nahe 10.500 v.Chr. So, wie behandelt Graham Hancock nun diese Information in seinem aktuellen Buch?

Die Frage, ob Posnanskys These die Zeit überlebt hat, ist nicht unwesentlich, denn der Hinweis, daß keine C14-Datierung, die vor Ort vorgenommen wurde, älter als 2000 Jahre ist, sagt zwar noch nichts über das absolute Alter der Ruinenstätte aus, aber Hancock geht jeder deutbare Hinweis ab, der sein propagiertes Alter verifiziert! Es ist schon wieder reine Willkür und das Unsinnige an dieser Diskussion ist, daß Hancock keinen Versuch unternimmt, diesen Eindruck abzuwenden. Stattdessen tappt er gleich in die nächste Pfütze...

GRAHAM HANCOCK: I'm not required to be encyclopaedic. In Heaven's Mirror there is no representation whatsoever of recent carbon dates for Tiwanaku. I simply didn't discuss it in there.

Deutsch:
Ich habe es nicht notwendig allwissend zu sein. In Heaven's Mirror (das neueste Buch) gibt es keine wie auch immer geartete Darstellung der Radiokarbondatierungen von Tiahuanaco. Ich habe das dort einfach nicht besprochen.

Hancock verwendet einen bekannten grenzwissenschaftlichen Trick: widersprüchliche Literatur oder widersprüchliche Fakten werden einfach nicht erwähnt! Und damit, das ist der springende Punkt, verhält er sich entgegen jede wissenschaftliche Glaubwürdigkeit wie jemand, dem nur am Verkauf seiner Bücher und der Verbreitung seiner These gelegen ist:

KEN FEDER (Archaeologist): When you have the, the, the archaeological record, when you have the radiocarbon dating for places like Tiwanaku it shows how old the site is. When you insist on ignoring that, not even rejecting it, just ignoring it, it shows that what you are doing is not science, can't be science and that your, your understanding of the past is in fact based on faith.

It's a belief system, it's not science.

Deutsch:
Wenn sie die archäologischen Aufzeichnungen haben, wenn sie die Radiokarbondatierungen für Orte wie Tiahuanaco haben, die zeigen, wie alt der Ort ist. Wenn sie darauf bestehen, das zu ignorieren, nicht es zu widerlegen, sondern es ignorieren, zeigt das, daß das was sie tun nicht Wissenschaft ist, nicht Wissenschaft sein kann, und daß ihr Verständnis der Vergangenheit tatsächlich auf Glauben beruht.

Das ist ein Glaubenssystem, es ist nicht Wissenschaft.

Dieses Fazit - im Fernsehen öffentlich verkündet - ist einzigartig in der Geschichte der Grenzwissenschaft und der des TV's! Dementsprechend sind die Reaktion von B&H im Web: "Skandal"! Nun, es läge an B&H allein, treffende Indizien für ihre These vorzulegen, statt die Jammer-Maschine anzuwerfen. Oder hat jemand schonmal einen Wissenschaftler "Skandal" rufen hören, wenn seine These der Kritik nicht standgehalten hat? Der Unterschied in der Reaktion ist auffallend. Weniger auffallend ist es, daß man sich zwischenzeitlich darauf begrenzt, mit Dreck zu werfen. Die grenzwissenschaftliche Orion-Riege lehnt jede Sachdiskussion ab und begrenzt sich auf die Bedienung einer halbautomatischen Beschimpfungsmaschine. Die Orion-Pyramiden-These wird zwischenzeitlich mit allen Mitteln am Leben erhalten, nur wissenschaftliche Methoden finden sich nicht darunter!

Gerade für mich selbst ist es sehr wichtig, mit einem Eingeständnis leben zu können. Meine Meinung bezüglich einer früheren These geändert zu haben, wird mir nach wie vor nachgetragen. Diese Leute, die viel Spaß daran haben (ich zwischenzeitlich auch:-), haben eine wichtige Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens nicht verstanden. Ich zitiere sie aus Carl Sagans "Der Drache in meiner Garage" (S. 43):

Vielleicht der schärfste Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft besteht darin, daß die Wissenschaft ein viel innigeres Verständnis für die Unvollkommenheit und Fehlbarkeit des Menschen hat als die Pseudowissenschaft (oder die "unfehlbare" Offenbarung). Wenn wir uns entschieden weigern zuzugeben, wo wir zu Irrtümern neigen, dann können wir ganz sicher damit rechnen, daß der Irrtum - sogar ein ernsthafter Irrtum, ein schwerwiegender Fehler - uns für immer begleiten wird. Aber wenn wir zu einer etwas mutigen Selbsteinschätzung in der Lage sind, welche reuevollen Überlegungen dies auch auslösen mag, verbessern sich unsere Chancen gewaltig.

Hancocks Reaktion, die seine ganze unwissenschaftliche Einstellung ohne Tarnkappe offenbart, ist natürlich eine Maßnahme zur Schadensbegrenzung. Denn groß ist er allemal, der Schaden, wie eine Pressekonferenz zeigt, die einige Tage später auch im Internet gezeigt wurde:

(Ausschnitt mit freier Übersetzung von Frank Dörnenburg. BTW, Danke!)

Frage:
"In der Sendung ... wurde gezeigt, daß die Neigungswinkel der Sterne um 10.500 BC nicht mit der Neigung der Pyramiden übereinstimmen. Wie erklären Sie dies"?

Antwort:
Es wurden ja die falschen Sterne gemessen.

(Erläuterung: Bauval nahm den Winkel der Cheops- und Chefrenpyramide zum Äquator, die Kritiker, aber den, den Cheops und Mykerinos bilden)

Nachfrage: "Ja, aber auch mit den "richtigen" Sternen gibts keine Deckung?!

(Erläuterung: Cheops/Mykerinos liegen ganze 19 Grad daneben, Cheops/Chefren immer noch 7 Grad!)

Antwort: "Das ist ja auch symbolisch gemeint, und dafür ist die erreichte Präzision gut genug."

Frage: "Aber wie wollen Sie denn aus einer "symbolischen Repräsentation" einen Planungszeitpunkt errechnen?"

Antwort: "Wir sind überzeugt, daß die Erbauer dieses Datum darstellen wollten, den wir haben ja noch die Synchronisation zwischen Sphinx und dem Sternbild Löwe, die ebenfalls auf das Jahr hindeuten"

Frage: "Der Löwe ist aber ein sehr ausgedehntes Sternbild, und geht zwischen 8500 BC und 12000 BC im Osten auf, wie kommen Sie auf das Datum 10500 BC?"

Antwort: "Weil wir andere Beweise haben, die genau auf dieses Datum hinweisen."

Frage: "Wie die Neigung des Pyramidengürtels?"
(Gelächter im Hintergrund)

keine Antwort

Frage: "Die Ägyptologen sagen aber, daß es keinen Beweis dafür gäbe, daß die Ägypter an dieser Stelle einen Löwen sahen."

Antwort: "Ich bitte Sie, dies ist lächerlich. Jede Kultur der Welt, die Löwen kennt, erkennt in dieser Konstellation einwandfrei einen Löwen. Die Behauptung, daß ausgerechnet die Ägypter zu dumm gewesen seien, einen Löwen zu sehen, ist einfach nur dumm. Im Übrigen ist die Abwesenheit eines Beweises kein Beweis für dessen Abwesenheit!"

Das ist natürlich eine böse Sache, wenn man weiß, daß die Ägypter das Sternbild des Löwen erst aus der griechischen Kultur importierten und selbst den Stier darin sahen. Insofern müssen die Ägypter nach B&H also nur zu dumm gewesen sein - schade, daß die alten Baumeister nicht die Bücher von B&H kannten, denn so blieb ihnen die Bedeutung ihrer eigenen Symbole und Bauwerke verborgen ;-)

Es ist jetzt nicht mein Ziel näher auf den völligen Untergang der Orion-These einzugehen. B&H haben sich selbst so eindrücklich widerlegt, daß jedes weitere Eingreifen von außen überflüssig bleibt. Ich will hier auf das Verhalten von TV und Journalisten eingehen, die erstmals kritische Fragen stellen und bei Nichtbeantwortung auch noch nachbohren. Lächelnd hat man sie bisher in ihren eigenen Produktionen gesehen, völlig schmerzfrei gegenüber jeder Kritik, und meilenweit darüber erhoben. Ist die "Zeit des Lächelns" vorbei?

Im deutschsprachigen Bereich sieht es düster aus. Welcher Leser des Orion-Buches, und das war hier immerhin ein Bestseller, weiß schon, daß es um die These mehr als schlecht bestellt ist?

Und woher sollte er das eigentlich wissen?

Dieser Frage soll jetzt nachgegangen werden...

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