Die Große Pyramide

des Königs Cheops in Giza

"Bedrock Cuttings"

In der nächsten Umgebung der Cheopspyramide - nach außen z.B. im Norden bis fast zum Abbruch des Plateaus, im Osten etwa bis zur Trial Passage - bis andererseits direkt unter das Hofpflaster der Cheopspyramide gibt es eine ganze Reihe von Bearbeitungen des gewachsenen Felsens, die zwar gelegentlich erwähnt, aber nur äußerst unvollständig und ungenau aufgezeichnet und praktisch überhaupt nicht erforscht sind. Lediglich die herausragendsten unter ihnen, der Trench Cut, die Trial Passages und die Löcher an den Ecken, wurden genau vermessen, veröffentlicht und diskutiert. Alle anderen, selbst die, die sich sogar in unmittelbarer Nähe der Trial Passage befinden und damit direkt zu tun haben könnten, sind bis heute nicht einmal auf einem zuverlässigen Plan zu finden, der es mir hier erlauben würde mögliche Zusammenhänge zu sichten.

Bedrock Cuttings an der Nordseite der Cheopspyramide. Bilder mit freundlicher Genehmigung von Frank Dörnenburg.

Die älteste Erwähnung dieser "Bedrock Cuttings" [ 1 ] findet sich bereits in den Schriften von Howard Vyse, der aber kaum mehr als ein paar lose Sätze dazu anführt und lediglich solche an der Nordseite der Pyramide erwähnt. Um den ohnehin schwer zu visualisierenden Inhalt nicht noch mehr zu entstellen, zitiere ich die entsprechende Stelle im Original [ 2 ]:

    "Two or three large holes of an angular shape have been cut in the platform before the pyramid, and a number of round ones about twelve inches in diameter, and eight or ten inches deep. The latter are in rows about five feet asunder, principally before the north-eastern angel of the building, where the blocks of stone would have been brought by the northern dyke [ 3 ]. There is also a remarkable groove, or trench, which, as well as the holes, seems to have been used in the erection of scaffolding, or of machinery when the pyramid was buildt."

Von Vyse (1840!) bis 1965 gibt es keine einzige Erwähnung der Bedrock Cuttings. Erst Maragioglio & Rinaldi besprechen dieses Phänomen wieder, zumindest einen kleinen Teil davon, wobei wir wenigstens in einem Fall konkrete Informationen bekommen [ 4 ]:

    "Roughly rectangular or roundish holes, with sides varying from 35 to 65 cms. and from 40 to 60 cms. in depth were cut out in the rock along all four sides of the pyramid and about six cubits from its base. They are regularly spaced (about 3.50 m.) and were filled with stones and mortar before the pavement (des Hofes, Anm. RL) was laid. An interesting fact is that the end holes of each row are exactly in line with the corner sides of the pyramid foundation pavement."

Diese Reihe von Löchern ist neben den Trial Passages das einzige Feature unter den Bedrock Cuttings, das jemals - wenn auch nur fragmentarisch - in einem Plan festgehalten wurde [ 5 ]. Daß diese Lochreihe in direktem Zusammenhang mit dem Pyramidenbau steht, wird man ohne Zweifel anhand der Ausrichtung und des Befunds - zugedeckt mit speziellen Steinen unter dem Hofpflaster - festellen können. Die nähere Bedeutung - z.B. ob für die Nivellierung oder die Einmessung - ist hingegen so nicht feststellbar. Und mit der Fortsetzung der Beschreibung der beiden Italiener bezüglich der auf dem umliegenden Plateau verteilten Löcher, die einzige, die es bis heute gibt, erlischt wieder jedes Verständnis [ 6 ]:

    "Other holes too exist in the rock but they are round, only a few centimeters deep, and isolated or in groups at times consisting of many which are more or less aligned but arranged without any apparent order. Some of the holes are still filled with mortar. They were probably used for operations in connection with the pyramid building but we do not know their exact purpose."

Die von Maragioglio & Rinaldi festgestellten Löcher um die Ecken der Pyramide haben Georges Goyon bald zu einer weiteren Untersuchung angeregt. Darin werden diese nicht nur weiter vermessen, sondern auch einer Erklärung unterzogen, nach der es sich hierbei um Vorrichtungen zur Konstruktion der rechten Winkel der Ecken handelt [ 7 ]. Mark Lehner hat diese Beobachtungen fortgesetzt und diese Löcher für die von Goyon nicht untersuchten Ecken ebenfalls nachgewiesen. Nach Ansicht von Lehner ergeben diese Löcher ein 3 m von der Basis liegendes Quadrat an allen vier Seiten [ 8 ]. Lehner meint auch an einer Stelle die Beobachtung gemacht zu haben, daß die Löcher bei der Nivellierung für das Hofpflaster teilweise wieder verschwunden sind, was - falls diese Annahme zuträfe - bedeuten würde, daß sie zur Konstruktion der ersten Einmessung des Geländes gehört haben müßten. Lehner, der teilweise eine ganze Reihe exakter Maße liefert, meint ebenfalls, daß das äußere Quadrat im Ellenmaß aufgeht [ 9 ].

Man muß sich klar machen, daß die bis hierher beschriebenen Bedrock Cuttings nur einen ganz kleinen Teil dessen bilden, was man sofort beim Betreten des Plateaus in großer Anzahl und Vielfalt vorfinden kann [ 10 ]. Die Ursache für dieses Versäumnis ist schnell ausgemacht: Die bisherigen Fragen zum Pyramidenbau beschränken sich nahezu vollständig auf das Phänomen des Steintransports. Allein die Fähigkeit, Steine bis zu 145 m hoch auftürmen zu können, bringt aber noch längst keine Cheopspyramide hervor. Wir haben es hier mit "les traces de l'implantation" [ 11 ] des Pyramidenbaus zu tun, über die man sich praktisch noch überhaupt keine Gedanken machen konnte, weil sie gar nicht überschaubar sind. Es soll bei dieser Gelegenheit nur einmal kurz angerissen werden, welch fundamentales Problem damit angesprochen wird: Es besteht bis heute keine Einigkeit darüber, daß die Pyramide das Ergebnis eines exakten Plans ist (wir werden darauf noch im Detail zurückkommen). Diese Debatte, weil sie nicht ausgetragen wird, verhindert die Stellung relevanter Fragen, von denen ich zur Veranschaulichung nur einmal eine einzige vorab heranziehen möchte, nämlich die exakte Nordung des Gangsystems in der Pyramide. Es ist nicht möglich, daß man irgendwo im grob aufgerichteten Kernmauerwerk der Pyramide plötzlich den Bau eines Gangs beschließt, und es ohne großen Aufwand und Hilfsmitteln schafft eine solch exakte Nordung hinzubekommen. Daneben ist die ganze Anlage so ausgelegt, daß die Königinnenkammer haargenau in der Mitte der OW-Achse sitzt. Um das zu erreichen sind das bereits besprochene "Backsighting" von Clarke & Engelbach und Lehners sog. "Extending Data Lines" bzw. ein "outside datum or reference System" [ 12 ] und eine gehörige Portion Aufwand und technischer Hilfsmittel notwendig [ 13 ]. Daß es diese gegeben haben muß - auch im Zusammenhang mit weiteren Problemen dieser Art, wie die Einhaltung des Winkels, der gleichmäßigen Ecken, etc. - ist sicher, und daß wir hier Features haben, denen eine solche Funktion wenigstens zum Teil nachgewiesen werden kann (z.B. den Trial Passages), auch. Was wäre also naheliegender als den Befund nach solchen Zusammenhängen zu untersuchen? Damit ist natürlich nicht gesagt, daß alle Bedrock Cuttings gleich zwangsläufig "traces de l'implantation" sein müssen. Im Gegenteil gibt es dort auch einige, die ganz anderes vermuten lassen, wie z.B. eine Lochreihe, die sich in einem weiten Bogen auf irgendeinen nicht herausragenden Punkt der Nordseite der Pyramide zubewegt. Man könnte vielleicht an die Überreste temporärer Bauten oder an Pfostenlöcher für Flaggenmasten oder an Standarten denken, die hier für die Begräbnisfeierlichkeiten errichtet wurden. Daneben gibt es welche, zu denen man wirklich überhaupt keine einzige Idee entwickeln kann, wie ein paar aus dem Fels modellierte gleichmäßige Strukturen an der Nordwestseite mit größerem Abstand zur Pyramide.

Links: Lochreihe an der Nordseite der Cheopspyramide. Links außen die Ausläufer der unten unter (2.) und (3.) beschriebenen Cuttings an der Nordostecke. Mitte: Vorne kurze Lochreihe, hinten wiederum die unten beschriebenen Cuttings. Rechts: Cuttings an der Ostseite der Pyramide. Bilder mit freundlicher Genehmigung von Frank Dörnenburg.

Da wir vor zwei grundlegenden Problemen stehen, die hier nicht behoben werden können, nämlich einmal die Erzielung einer weitgehenden Übereinstimmung in der Frage, ob und wie die Pyramide geplant und umgesetzt wurden, und dann in einer grundlegenden Vermessung und Aufnahme der Bedrock Cuttings, da ohne diese Grundlage in keiner Hinsicht eine Klärung herbeigeführt werden kann, will ich im folgenden nur noch lose einige Features wiedergeben, die Lehner und Goyon erwähnt haben. Auch wenn man sich darunter nicht viel wird vorstellen können, soll doch versucht werden, ein klein wenig die Vielfalt und ein paar Eigenschaften der Bedrock Cuttings vorzustellen, um das Problem wenigstens ein wenig anschaulich zu gestalten [ 14 ].

  1. An der NW-Ecke gibt es die üblichen Einschnitte im Felsen zur Aufnahme der Blöcke des Hofpflasters, mit dem auffälligem Unterschied, daß sie breiter und rund 16 cm tiefer eingelassen sind. Dieser Bereich formt ein Rechteck, das sich etwa 3 m von der Ecke des Fundaments entfernt 10 m in NS-Richtung und in OW-Richtung bis zur modernen Straße hin erstreckt. Innerhalb dieses vertieften Bereichs wiederum, am südlichen Ende, fand Lehner einen westwärts verlaufenden Kanal, von dem er sich nicht sicher ist, ob es die von Maragioglio & Rinaldi erwähnte Abwasserrinne des Hofes sein könnte [ 15 ].

  2. An der NO-Ecke gibt es eine Serie quadratischer "dressings", am nördlichen Ende 24 cm tief, die mit der nördlichen Begrenzung des Hofes abschließt. Der Einschnitt ist hier 4,63 m breit und mit der Ostseite - genau wie bei der Pyramide von Chephren - 7 m von der Ecke des Hofes entfernt. Dieser Einschnitt erweitert sich um 4 m nach Süden, wo er schmäler, mit einer Breite von 2,2 bis 2,3 m nocheinmal 4,95 weiter in Richtung Süden verläuft. Im Ansatz dieser letzten Erweiterung gibt es ein paar Löcher mit einem Durchmesser von 20 bis 27 cm im Abstand von 60 cm [ 16 ]. Die schmale Seite der letzten Erweiterung liegt in einer Linie mit der bereits erwähnten Lochreihe, die drei Meter von der Pyramidenbasis entfernt verläuft!

  3. 2,3 m nördlich des Nordendes der beschriebenen Dressings findet sich ein auffällig tiefer und exakter Schacht mit 1 m Breite, N-NO ausgerichtet [ 17 ]. Wegen einer 25 cm hohen Erhebung in Richtung des Pyramidenhofes fällt eine Deutung als Abwasserrinne sicher aus.

Daß die Löcher im Plateau, nachweislich jene unter dem Hofpflaster, zumindest teilweise wieder geschlossen wurden, wurde bereits gesagt. Daß dies in einigen Fällen angesichts des darauf erfolgenden Nivellements Sinn macht, ist auch klar. Einen besonderen Fall scheint aber eine "énigmatique dalle", eine "rätselhafte Steinplatte" zu bilden, die Goyon entdeckt und untersucht hat [ 18 ]. Diese Steinplatte befindet sich im Plateau eingelassen an der Ostseite der Pyramide, 30 m von der Südostecke entfernt. Ursprünglich ragten von ihr lediglich 30 cm aus dem Fundament der Pyramide heraus, der Rest befand sich unter dem Pflaster des Hofes. Die Steinplatte mißt 2,15 x 1,07 m und ist 38 cm dick und schließt ein entsprechend großes Loch im Plateau. Die Seiten sind etwas konisch gearbeitet - wahrscheinlich um den Block entsprechend einlassen zu können [ 19 ]. Darunter befindet sich nichts weiter als der gewachsene Felsen, und darauf eine dünne Schicht Sand. Eine Reperaturmaßnahme des Felsens schließt Goyon aus, da der Felsen im Umkreis von 20 m völlig intakt ist und auch um die Platte selbst herum keine Probleme mit dem Plateau festzustellen sind. Um was es sich dabei handelt, bleibt damit völlig rätselhaft.

Nach der überzeugenden Ansicht von Lehner haben wir es hier mit einem System zur Ausrichtung, Orientierung und Nivellierung zu tun, das in einem Netzwerk aus Linien um die Basis der Pyramide herum bestand [ 20 ]. Nehmen wir aber unsere Überlegungen über den Sinn und Zweck der Trial Passages hinzu, scheint es sogar möglich, eher wahrscheinlich, daß das "Grid"-System auch innerhalb der Pyramide selbst zu finden war. Noch ein anderer Punkt kann hier möglicherweise angefügt werden. In der Besprechung der Trial Passages wurde gesagt, daß die Ostseite eine Art Baubüro beherrbergt haben könnte, während die Süd- und Westseite schon wegen der dortigen Rampen dafür nicht in Frage kommt. Um ein "Grid" zu bekommen, sind aber zwei Seiten zumindest recht hilfreich, wenngleich die wesentlichen Daten freilich von Osten, also auf das Gangsystem produziert werden mußten. Der gegenwärtige Befund scheint das zu bestätigen, denn abgesehen von den Vorrichtungen, die mutmaßlich zur Konstruktion der Ecken oder zur Nivellierung beitragen, befinden sich durchweg alle bisher bekannten Bedrock Cuttings an der Nord- und Ostseite der Cheopspyramide! Falls dies kein durch die miserable Dokumentation oder den unklaren Befund verursachtes Problem ist, wäre dies eine wichtige Beobachtung, die immense Rückschlüsse auf den Bau der Cheopspyramide zuließe und die Bedrock Cuttings zunächst mal theoretisch erklärt. Alles andere muß die künftige Erforschung dieses Phänomens erbringen.

Anmerkungen

[ 1 ]Wie schon bei den Details der Trial Passages stehe ich vor dem Problem, daß diese "Bedrock Cuttings" noch nie in deutschsprachiger Literatur diskutiert wurden. Es gibt also keine deutschsprachige Nomenklatur zu diesem Thema, weswegen ich hier den passend neutralen Begriff von Lehner, Layout, p. 20, verwende, der zudem den Vorteil aufweist, daß er nicht nur auf Löcher anwendbar ist.
[ 2 ]Vyse, Operations I, pp. 204-205.
[ 3 ]Diesen "northern dyke" gibt es nicht, vgl. MR IV, p. 172 Obs. 55.
[ 4 ]MR IV, p. 66.
[ 5 ]MR IV, Tav. I, Fig. 3.
[ 6 ]MR IV, p. 66.
[ 7 ]Goyon, Quelques observations, p. 74-77.
[ 8 ]Lehner, Layout, p. 8.
[ 9 ]ibd.
[ 10 ]Zwei gute Abbildungen mit einem Überblick auch über die Vielfalt dieses Phänomens gibt es bei Lehner, Hetep-heres, Fig. 26-27.
[ 11 ]Goyon, Quelques observations, p. 71.
[ 12 ]Lehner, Layout, p. 13.
[ 13 ]Für die Einhaltung der Achse vgl. Goyon, Cheopspyramide, S. 156.
[ 14 ]Bezüglich der Chephrenpyramide hat Lehner bereits wegweisende Arbeit geleistet und unzählige solcher Features im Bereich der Ecken vermessen, aufgenommen und publiziert, vgl. Lehner, Layout, passim.
[ 15 ]ibd., p. 10.
[ 16 ]ibd. p. 11.
[ 17 ]ibd. p. 11, Pl. Ib.
[ 18 ]Goyon, Quelques observations, p. 83-86, Pl. IX, Fig. C.
[ 19 ]Dieser Befund ist identisch mit dem Verschluß anderer Löcher auf dem Plateau, vgl. ibd., p. 75, Fig. 3.
[ 20 ]ibd. p. 13.

Zurück Home Weiter