Die Große Pyramide

des Königs Cheops in Giza

Der "Mauerblock"

Befund am Mauerblock, nach Goyon, Quelques observations, p. 79, Fig. 4.
Im Zusammenhang mit den Maßlinien um die Trial Passages erwähnt Lehner einen Mauerblock aus lokalem Kalkstein, der sich nordöstlich der Cheopspyramide am Abbruch des Plateaus befindet [ 1 ]. Die Blöcke verlaufen in nordöstlicher Richtung über den Rand des Plateaus hinab und reichen hinunter bis sie weniger als die halbe Höhe des Plateaus erreichen [ 2 ]. Lehner gibt Maße des Mauerblocks an der Oberseite mit 14 m (Ost-West) und 24,50 m (Nord-Süd) an [ 3 ]. Goyon, der diesen Mauerblock untersucht hat, und der das Mauerwerk als "pavage" - als Pflaster - beschreibt, berichtet von einer Anlage unförmiger Blöcke, die seinerzeit noch 4 bis 6 m breit und 15 m lang war, aber ursprünglich anscheinend 32 m lang gewesen sein könnte [ 4 ]. Etwa 40 m hätte sie über das Tal hinaus geragt. Nach Goyons Angaben entsprechen die einzelnen Blöcke in ihrer Größe und Beschaffenheit den durchschnittlichen Steinen des Kernmauerwerks der Cheopspyramide. Es handelt sich demnach sicher um eine Anlage aus der Zeit des Cheops oder seiner unmittelbaren Nachfolger. Ob und wie sich dieser Mauerblock ursprünglich fortgesetzt hat, ist nicht weiter untersucht. Maragioglio & Rinaldi konnten wegen moderner Ausgrabungen, dem "touristic layout" und der zunehmend fortschreitenden Expansion der Häuser des Dorfes Nazlet es-Samman keine weiteren Untersuchungen an diesem Monument anstellen [ 5 ]. Die Ausrichtung des Mauerblocks weist etwa auf die Mastaba G 7101/7102 von Kar und Idu [ 6 ].

Über die Funktion dieses Mauerblocks wurden unterschiedliche Thesen hervorgebracht. Hassan hat sich die Frage gestellt, ob es sich hierbei um die Reste eines ursprünglichen und dann aufgegebenen Aufwegs handeln könnte, oder ob man es hier mit den Resten einer "construction ramp" zu tun haben könnte, die nach Vollendung der Pyramide bis auf diesen Rest abgerissen wurde [ 7 ]. Hassan hält es sogar für möglich, daß die moderne Straße, die auf das Plateau führt, ursprünglich der Rest einer solchen Rampe ist [ 8 ]. Eine Konstruktionsrampe, die zur Herbeischaffung externer Gesteine dient, wie der Turakalk für die Verkleidung und das Pflaster, der Basalt für den Pyramidentempel oder der Rosengranit für die "Entlastungskammern", dürfte in der Tat hilfreich gewesen sein [ 9 ]. Allerdings ist die Örtlichkeit dafür denkbar ungeeignet, da - unabhängig davon, wie man zur Deutung der Trial Passages steht - das Material quer über dieses Gelände transportiert hätte werden müssen. Weiterhin ist völlig unklar, warum man dafür statt des üblichen Schutts Kalksteine im Format der Cheopspyramide verwenden sollte [ 10 ]. Dafür wäre die von Fakhry erwähnte Rampe knapp südlich des Aufwegs weit besser geeignet [ 11 ]. Diese besteht aus dem üblichen Rampenmaterial und führt zudem nicht umständlich über Norden in Richtung Nilarm, sondern direkt in möglichst geradem Weg zu einer angenommenen Abladestelle [ 12 ].

Eine ganz andere Lösung bevorzugt Goyon [ 13 ]. Basierend auf den Begehungen Petries schließt er auf eine Abraumrampe, über die der ganze an einer Pyramidenbaustelle vorstellbare Abfall und Bauschutt über die Kante des Plateaus gekippt wurde. In der Tat hat zunächst bereits Petrie gewaltige Haufen solchen Mülls gefunden, und zwar nördlich und südlich unterhalb des Plateaus [ 14 ]. Aus der Stratigraphie des Abraums wollte Petrie sogar die Reihenfolge der Entsorgung und die Phasen des Pyramidenbaus ablesen. Neben Bruchstein entdeckte er die Wassergefäße der Arbeiter und deren Speisebehälter, Holzsplitter, Holzkohle und ein Stück Schnur, dessen Ursprung er in einem Tragekorb sieht. Daß der Müll der Bauarbeiten über den Abbruch des Plateaus entsorgt wurde, steht somit völlig außer Frage [ 15 ]. Nur was unser Mauerblock damit zu tun haben könnte, will nicht klar werden. Petrie nimmt auch nicht explizit zum diesem Mauerblock Stellung, sondern beschreibt breitere Flächen und vor allem auch Flächen am südlichen Fuß des Plateaus, wo ebenfalls keine monumentale Abraumrampe zu finden ist [ 16 ]. Es gibt also definitiv keinen Nachweis einer besonderen Nutzung dieses Mauerblocks zu diesem Zweck, sondern einen dafür, daß der Abfall auch ohne Pflaster aus monumentalem Kalkstein über den Rand des Plateaus geworfen wurde [ 17 ]. Man könnte jetzt noch anführen, daß das Pflaster selbst aus solchem Abfall besteht. Doch warum hätten die Bauleute die Steine - angenommen, sie seien z.B. fehlerhaft - in einem Stück bis zum Rande des Plateaus transportieren sollen? Es wäre sicherlich wesentlich einfacher gewesen, hätte man diese in ein paar kleine Stücke geschlagen und anschließend vielleicht in anderer Funktion wiederverwendet oder ebenfalls über das Plateau gekippt. Darüberhinaus sind die Steine des Mauerblocks nicht schlechter als die des Kernmauerweks der Pyramide. Auch dieses besteht aus grob gehauenen Blöcken und kleinen Füllblöcken, für die unsere Blöcke sicher gut genug gewesen wären.

Leider ist der Befund am Mauerblock außerordentlich schlecht. An keiner Stelle läßt sich eine äußere oder obere Seite finden bzw. definitiv bestimmen. Dies wäre sehr hilfreich, da man so feststellen könnte, ob hier möglicherweise ganz einfach eine monumentale Anlage geplant war, die an der Funktion des Pyramidenbezirks mitwirkt! Sicher feststellen läßt sich jedoch wenigstens, daß die Blöcke in mehrere Lagen übereinander aufgeschichtet wurden. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist das nicht mehr oder weniger als der übliche Befund eines Bauwerks. Das würde man auch an jeder anderen Stelle so sehen, nur daß man sich mit einer solchen Annahme in Erklärungsnotstand bringt: welches Bauwerk sollte sich an dieser extzentrischen Stelle schon befinden? Und Steinarchitektur fordert ebenfalls in allen anderen Fällen zwangsläufig ein sakrales Bauwerk!

Die Daten des ARCE Sphinx Projects erbrachten eine mögliche Lösung dieses Problems [ 18 ]. Dabei ergab sich, daß jeweils die Südostecken der drei Pyramiden von Giza auf einer Linie liegen. Daneben befinden sich auf dieser Linie die Nordostecken der Pyramidentempel von Chephren und Mykerinos, sowie die Diagonale von GIII-a und beinahe dieselbe von GI-a [ 19 ]. Nicht alle Punkte stimmen dabei ganz exakt. Die beste Ausrichtung jedoch verläuft direkt über die Südostecke unseres Mauerblocks [ 20 ]! Die Existenz dieser Linie und ihre Bedeutung für die Planung des Pyramidenareals von Giza steht praktisch außer Frage [ 21 ]. Die eigentliche Bedeutung dieser Diagonale aber ist zweifacher Natur. Einmal verläuft sie auf einer geologisch vorgegebenen Linie, nämlich lotrecht zur Plateausenke [ 22 ]. Diese Linie sorgt also zunächst dafür, daß die Pyramiden so gut als möglich auf einer Linie und einer Höhe liegen, und sie sorgt weiterhin dafür, daß die Pyramiden nordwestlich des Gefälles auf möglichst ebener und sicherer Fläche stehen. Es handelt sich dementsprechend um eine Linie, die relevant für bauplanerische und sicherheitstechnische Überlegungen ist. Da der Mauerblock den äußersten nordöstlichen Punkt auf dieser Linie bildet, wäre es also gut vorstellbar, daß es sich dabei um ein "Standvisier" handelt, von dem aus die Linie angelegt wurde [ 23 ]. Eine solche Lösung ist allerdings nicht zwangsläufig mit einer sakralen Funktion verbunden. Eine Ausführung in monumentaler Steinarchitektur ist damit also eher nicht oder zumindest unzureichend erklärt.

Große Giza-Diagonale, nach Lehner, Contextual Approach, p. 143, Fig. 8.

Nach Goedicke führt die große Diagonale in der Verlängerung nach Nordosten direkt nach Heliopolis und trifft dort "exactly" auf den Obelisken von Sesostris I. [ 24 ]! Die Berliner Lederrolle gibt Auskunft, daß Sesostris hier ein älteres Monument erneuerte [ 25 ] und das Relief des Djoser beweist, daß Heliopolis bereits in der 3. Dynastie ein Heiligtum aufwies [ 26 ]. Weiterhin steht Heliopolis in engstem Zusammenhang mit dem König, dem Kosmos und den Jenseitsvorstellungen und ist nach altägyptischer Vorstellung und vielleicht sogar im übertragenen Sinn unseres Problems der "Referenzpunkt im umfassenden Sinn" [ 27 ]. Auch Goedicke baut seinen Zusammenhang auf den Pyramiden, dem benben, den Himmelsrichtungen, etc. auf [ 28 ]. Für unser Problem genügt hier zunächst die Feststellung, daß die sakrale Komponente dieser Linie durchaus existiert und so die Errichtung eines monumentalen Bauwerks ausreichend gerechtfertigt wäre. Welche Gestalt man für dieses hypothetische Bauwerk annehmen kann bleibt allerdings völlig offen und wird wohl nie mehr beantwortet werden können. Es ist aber vielleicht kein Zufall, daß in den nachfolgenden Friedhofsbelegungen in Abusir und Sakkara ebensolche Linien existieren, die u.a. ein Sonnenheiligtum einfassen und direkt mit der Cheopspyramide verbunden sind [ 29 ].

Diese Lösung des Problems ist allerdings nicht zwingend und tatsächlich nur anhand erweiterter Überlegungen zu erreichen. Sie erscheint mir trotzdem erheblich plausibler als die Annahme einer Rampe. Als einzige Alternative käme die Überlegung Hassans in Betracht, nach der mit diesen Blöcken ein Spalt im Felsen ausgeglichen werden sollte [ 30 ]. Allein diese Erklärung paßt auf die Verwendung monumentaler Kalksteinarchitektur außerhalb kultischer Funktionen. Tatsache ist immerhin, daß die Kalksteinblöcke sich in einem solchen Spalt befinden [ 31 ]. Weiterhin ist bekannt, daß die Einebnung und Nivellierung des Geländes um die Pyramiden zu den üblichen Erscheinungen gehören, und daß die Verwendung monumentaler Kalksteinarchitektur dafür üblich ist [ 32 ]. Die Ausrichtung des Mauerwerks auf die Mastabas von Kar und Idu scheint dann eher zufällig zu sein. Vielmehr würde man dann annehmen, daß diese der Fissur im Plateau folgt. Für diesen Fall müßte man annehmen, daß auch die Giza-Diagonale nur zufällig über diesen Punkt verläuft.

Anmerkungen

[ 1 ] Lehner, Hetep-Heres, p. 66, n. 2. Der hier verwendete, klanglose Begriff "Mauerblock" resultiert daraus, daß diese Anlage bis heute nicht in einem einzigen Fall in deutschsprachiger Literatur besprochen wurde.
[ 2 ] Hassan, Giza X, p. 19.
[ 3 ] Lehner, op.cit.
[ 4 ] Goyon, Quelques observations, p. 77-79; ders., Le secret, p. 257f.
[ 5 ] MR IV, p. 72-74.
[ 6 ] so festgestellt von Goyon, Quelques observations, p. 78, 79, Fig. 4.
[ 7 ] Hassan, op.cit.
[ 8 ] ebenso Fakhry, Pyramids, p. 123; dagegen mit guter Begründung MR IV, p. 172, Obs. 55.
[ 9 ] zumal der Aufweg dafür nicht in Frage kommt, vgl. Lehner, Khufu Project, p. 132; Ricke, Bemerkungen AR II, S. 114f.
[ 10 ] so argumentiert auch Hassan, op.cit., zur Auffüllung eines Spalts; vgl. Lehner, Construction of Pyramids, p. 642f. Monumentale Kalksteinarchitektur ist in keinem einzigen Fall nachweislich als Material für Rampen verwendet worden.
[ 11 ] Fakhry, op.cit.
[ 12 ] So auch MR IV, p. 172, Obs. 55. Fakhrys Rampe ist allerdings sonst nicht weiter zu bestimmen. Seiner Angabe nach stehen heute die Häuser des Dorfes auf ihr. Möglicherweise stützt er sich dabei auf Hassan, op.cit., der eine eben solche erwähnt, allerdings ohne nähere Mitteilungen darüber zu machen.
[ 13 ] Goyon, Le secret, p. 257f.
[ 14 ] Petrie, Pyramids, p. 85f.
[ 15 ] vgl. Reisner, History I, p. 11.
[ 16 ] so auch Lehner, op.cit. Bei Petrie, op.cit., p. 85, heißt es: "The masons' waste chips were thrown away over the cliffs, on both the north and south of the Pyramid; and they form banks extending about 100 yards outwards from the original edge of the rock, and reaching from top to bottom of the cliffs; taking them altogether, they are probably equal in bulk to more than half of the pyramid." Daraus und aus der Stratigraphie ergibt sich eindeutig, daß der Abfall nicht über den Mauerblock entsorgt worden sein kann.
[ 17 ] vgl. auch Kemp, Ancient Egypt, p. 130, Fig. 45; pp. 132-136.
[ 18 ] Lehner, Contextual Approach, p. 143.
[ 19 ] vgl. auch Lehner, Hetep-Heres, p. 66, n. 32.
[ 20 ] ibd.
[ 21 ] ein ausführlicher Exkurs dazu ist in Vorbereitung.
[ 22 ] Lehner, Weltwunder, S. 106.
[ 23 ] ibd.
[ 24 ] Goedicke, Giza, p. 39.
[ 25 ] ibd.
[ 26 ] Ch. Ziegler in: EAAP, p. 175f., Cat.no. 7A-C.
[ 27 ] Raue, Heliopolis, S. 11.
[ 28 ] Goedicke, op.cit., pp. 39-47. Ein Exkurs dazu ist in Vorbereitung.
[ 29 ] ibd., p. 46; Lehner, Contextual Approach, p. 143, n. 24.
[ 30 ] Hassan, op.cit., p. 19.
[ 31 ] bestens zu sehen auf dem Luftbild bei Siliotti, Pyramiden, S. 9 unten, bei Lehner, Hetep-Heres, Fig. 24.
[ 32 ] Reisner, op.cit., pp. 10-19; Lehner, Khufu Project, passim.

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