Buchbesprechungen

Toby A.H. Wilkinson: Early Dynastic Egypt. London & New York, 1999. Routledge.

ISBN 0-415-18633-1

Nur wenig erblüht z.Zt. so wie die Erforschung der ägyptischen Vor- und Frühzeit. Die Fortschritte in den letzten 30 Jahren waren in vielerlei Hinsicht revolutionär. An guten Zusammenfassungen zu diesem schwierigen Thema mangelt es traditionell. Ganz oben steht Walter Bryan Emerys "Archaic Egypt" von 1961 und Michael Alan Hoffmans Klassiker "Egypt before the Pharaos" aus dem Jahr 1979. Seitdem hat sich das Material erheblich erweitert und manches stellt sich anders dar. Da kommt Wilkinsons Buch gerade recht.

"Early Dynastic Egypt", das weist eigentlich auf die ersten beiden Dynastien. Trotzdem greift Wilkinson 500 Jahre der ägyptischen Geschichte ab und beginnt in den letzten Zügen der vorgeschichtlichen Zeit und arbeitet sich durch das ganze Spektrum hindurch bis zu König Djoser, dem ersten König der 3. Dynastie, mit dem das Alte Reich seinen Lauf nimmt. Um es gleich vorweg zu nehmen: für diesen Abschnitt haben wir es mit dem neuen Standardwerk zu tun. Und daß dieser Abschnitt der entscheidende für die Entstehung Altägyptens ist, zeigt sich an der nachfolgenden Epoche, aus der heraus die grandiose Pyramidenzeit erwachsen ist. Der Boden für diese gewaltige Schaffen wurde in der "formativen Periode" bereitet.

Wilkinson startet nach seinem Prolog gleich mit einem nicht unbedingt zu erwartenden Leckerbissen. Er berichtet von den Pionieren unter der frühzeitlichen Archäologie und ihren Entdeckungen. Auch die aktuellesten Grabungen, z.B. die des DAI in Abydos, reihen sich an. Man bekommt ein gutes Gefühl für den Weg zur Materialgewinnung für diese praktisch unsichtbare Periode und bekommt auch die neusten Methoden mitgeteilt. Von der Badarian-Kultur (4500 v.Chr.) aufwärts begibt sich Wilkinson dann auf die Suche nach der sozialen Schichtung und damit nach den Ursprüngen des ägyptischen Staates. Über Ideologie und Iconographie des frühen Königtums führt der Weg zu den ersten kulturellen Zentren und dann zu den ersten vordynastischen Königen. Im 3. Kapitel wird seziert: Definition der Begriffe, Quellen, spätere Sicht. Es folgt eine chronologische Abarbeitung von Narmer bis Huni. Der 4. Teil des Buches beschäftigt sich intensiv mit der Administration des Landes, vom Handel über die Gauverwaltung bis zum Steuersystem. Hervorzuheben ist eine Besprechung über die frühen Beamten, von denen man einige ganz gut kennt, z.B. Hemaka oder Metjen. Weiten Raum nehmen auch die Beziehungen zu den Nachbarländern ein. Im 6. Kapitel folgt schließlich eine sehr detaillierte und hoch interessante Behandlung des frühzeitlichen Königtums und aller seiner Aspekte. Besonders hervorgehoben wird dabei auch die königliche Architektur und deren Entwicklung. Von den ältesten Gräbern in Abydos spannt sich der Bogen bis zur Pyramide von Meidum. Wilkinsons Beobachtungen dabei sind von großer Bedeutung. Im 8. Kapitel werden ausführlich die Kulte und heiligen Stätten der Frühzeit besprochen. Die Detailfreude und die verschiedenen Aspekte, die Beschreibung der einzelnen Gottheiten und der ältesten Tempelbauten ist einzigartig. Das 9. Kapitel befaßt sich ebenso ausführlich und genial mit der Urbanisierung Ägyptens. Im 10. und letzten Kapitel schließlich enden wir in einer Besprechung der verschiedenen Regionen, die Ägypten geprägt haben. Ein Glossar, wie ich es selten gesehen habe, schließt sich an. Das Literaturverzeichnis erlaubt exakte Quellennachweise. Ein Index schließt den Band.

Hier paßt alles! Wilkinson schafft es das schwierige Thema von allen Seiten und unter den verschiedensten Aspekten zu beleuchten. Die so "trocken" wirkende Epoche wirkt farbig und greifbar wie nie zuvor. Ganz hervorragend gelingt dabei die direkte Überleitung in das Alte Reich sowie der Blick in die Vorgeschichte. Wenn man dieses Buch, das die aktuellesten Ergebnisse berücksichtigt, mit älteren Werken vergleicht, wird man schnell einsehen, daß dieses Buch keine Minute zu früh kommt. Was in hunderten Aufsätzen verstreut, für den durchschnittlich Interessierten praktisch unerreichbar verborgen liegt, wird hier nicht nur zusammengefaßt. Wer für die Epoche, die das bekanntere Ägypten geschaffen hat, Interesse aufbringt, wird dieses Buch haben müssen! Auch der weniger vorbelastete Leser wird damit klarkommen. Verwundert war ich allein darüber, daß Wolfgang Helcks "Untersuchungen zur Thinitenzeit", ein sehr wissenschaftliches Werk zu den ersten beiden Dynastien, weder erwähnt wird, noch im Literaturverzeichnis erscheint. Ich kann auch nicht behaupten - wie eine Rezension bei amazon meint -, daß Wilkinsons Buch Emerys "Archaic Egypt" "ersetzen" könnte. Allein Emerys isometrische Zeichungen der Frühzeitgräber, die er ja selbst ausgegraben hat, ergeben ein zeitloses Buch, während Wilkinsons Buch kaum durch aufsehenerregende Bilder oder Zeichungen auffällt. Trotzdem schwingt sich meine persönliche Wertung bis zum Top Ten-Buch auf.

412 Seiten im Hardcover mit 13 S/W-Fotos und 44 Zeichungen und Karten können den Preis von 158,-DM beim besten Willen nicht rechtfertigen. Das Buch ist restlos überteuert. Der Preis erinnert an wissenschaftliche Fachliteratur in geringer Auflage, was mir hier aber nicht zutreffend scheint. Die sicher zu erwartende Paperbackausgabe wird erheblich billiger sein.

Dr. Toby A.H. Wilkinson vom Departement of Archaeology der University of Durham leitet Ausgrabungen an den frühgeschichtlichen Bereichen von Buto und Memphis in Unterägypten.

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