Der Sphinx von Giza I

Zwischen Alter und Bedeutung

In Ägypten sind Sphingen in der Regel maskulin (LAK, S. 423f.), so daß es eigentlich der Sphinx heißt, auch wenn man sich daran nicht immer oder praktisch gar nicht hält. Bei Hesiod ist die Sphinx ein geflügelter Löwenkörper mit dem Kopf eines Mädchens. Diese Sphinx hat ihren Ursprung möglicherweise im Zweistromland. Dort sind solche Sphingen seit etwa 2000 v.Chr. bekannt. Das bekannteste und älteste Exemplar des Sphinx aber ist der große Sphinx von Giza aus der 4. Dynastie (etwa 2600 v.Chr.). Er ist 57 m lang, 21 m hoch und aus dem gewachsenen Felsen herausgemeißelt, über dessen geologische Zusammensetzung noch recht ausführlich zu reden sein wird.

Kopf des Sphinx

Der Sphinx von Giza ist nur bedingt mit den späteren Sphingen vor ägyptischen Tempeln vergleichbar. Diese Sphingen, die in langen Reihen sog. Sphinxalleen bilden, sind in der Regel so gestaltet, daß die Tiergestalt eine direkte Beziehung zu dem Gott des jeweiligen Tempels hat (LAK, ibd.). Unser Sphinx ist die Gestalt eines Königs, was recht leicht an dem Kopfputz und an dem heute fehlenden Bart zu erkennen ist (Jordan, p. 4) - der Nemes-Kopfputz ist ein rein königliches Merkmal! Der Löwe hingegen ist im Nahen Osten ein klassisches Symbol der Sonne (Lehner, p. 127). Die Verbindung des Königskopfes mit dem Körper eines Löwen ist Ausdruck der typisch ägyptischen Symbiose zwischen dem König einerseits und dem Sonnengott andererseits (ibd.). Der König ist der Stellvertreter des Sonnengottes auf Erden (Gundlach, S. 11ff.), und das ist nicht erst aus der 4. Dynastie bekannt, es ist schon ein Merkmal der 1. Dynastie (Engelbach) unter Verwendung des Falken und schon aus der Negade I-Periode, also um 3900 v.Chr. (aktuell nach Hendrickx, p. 64), wurde die Sonnenscheibe zum Gegenstand bildlicher Erfassung und Verehrung (Westendorf, Taf. 15, Abb. 27). In dieser Hinsicht bleiben eigentlich keine Fragen offen.

Unser Sphinx soll nach allgemein gültiger Anschauung das Werk des Königs Chephren sein, der ein Sohn des Königs Cheops war, dem Erbauer der größten Pyramide in Giza. Diese Auffassung wird nicht durchgehend geteilt. Stadelmann kann mit guten Argumenten auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für Cheops als Erbauer des Sphinx herstellen (Stadelmann, S. 172ff.).

Nun ist der Sphinx in den letzten Jahren zum Gegenstand grenzwissenschaftlicher Betrachtungen geworden, und zwar dahingehend, daß er nicht, wie eben kurz vorgestellt, ein Werk der 4. Dynastie sei, sondern daß er weit älter sein muß. Diese These wurde vor allem durch John West vertreten und bekannt gemacht.
Die ganze Geschichte beginnt einmal mehr damit, daß man den alten Ägyptern das Leistungsvermögen abspricht, das zur Errichtung dieser Kultur - und daraus irgendwie resultierend - zur Errichtung des Sphinx notwendig ist. Aufbauend auf einer Bemerkung von Schwaller de Lubicz, nach der der Sphinx nicht - wie allgemein angenommen wird - durch Sand, Wind und Salzexfoliation erodiert wurde, sondern durch Wasser, und zwar durch Regenwasser, unternahm John Anthony West allerlei Anstrengungen, um dem Sphinx eine neue und weit spektakulärere Geschichte zu verpassen. Dabei stützt er sich - so der akzeptierte Anschein - auf Dr. Robert Schoch, Associate Professor of Science and Mathematics am Boston University's College of Basic Studies (nach Jordan, p. 146). West sagt, und er verweist dabei gerne auf unseren Professor, der Sphinx datiere vor die Eiszeit (West, p. 229). Dafür wird die Begründung angeführt, daß der Sphinx eine höhere technologische Stufe verlange als z.B. Jericho (ca. 8000 v.Chr.), und daß eine Kultur mit dieser Technik in Ägypten nicht gefunden wurde - ergo muß sie so alt sein, daß bisher keine Spuren von dieser Kultur gefunden wurden, und dafür wiederum bildet die Eiszeit ein Minimum! Tatsache ist aber, daß Schoch mit seiner Datierung lediglich auf 7000 - 5000 v.Chr. kommt, also weitaus weniger (West, p. 229, Jordan, p. 147), denn nur damals hätte es genügend geregnet, um eine Erodierung durch Regenwasser erklären zu können. Damit steht und fällt die neue Sphinxthese allein mit den Kriterien, die Schoch aufgestellt hat, und deshalb sollen allein diese hier besprochen werden. Die Überlegungen von West, nach denen Ägypten das Erbe der Atlanter sei (West, p. 184), basieren auf reinster Spekulation und können daher nicht Gegenstand der folgenden, argumentativen Betrachtungen sein. Atlantis in seiner modernen Interpretation ist eine Erfindung, die dazu dient, weitere Erfindungen zu rechtfertigen! Tatsache ist weiter, daß die Beweisführung unter diesem Gesichtspunkt, daß der Sphinx nämlich nicht zwischen 7000 - 5000 v.Chr. errichtet wurde, recht einfach ist. Diese Zeit, was West natürlich wußte, ist archäologisch sehr gut erforscht. Die reichen Funde aus dieser Zeit zeigen eindeutig, daß der Sphinx nicht das Produkt dieser Kultur sein konnte. Um diesem Problem aus dem Weg zu gehen, und West selbst gibt das so zu (p. 229), hat er eben noch schnell 3000 bis 5000 Jahre auf Schochs Datierung gepackt. Auch Jordan hat das wohl als willkürlichen Akt aufgefaßt, denn so ausführlich er auf Schoch und seine Argumente eingeht, West wird nicht einmal erwähnt. So will ich es auch halten, denn es gibt keinen einzigen Geologen, der den Sphinx in oder vor die letzte Eiszeit datiert!

Sphinx von Norden

Im folgenden soll also die Frage nach der Geologie des Sphinx und seiner Umgebung gestellt werden. Denn Schoch war nicht der einzige, der sich mit Geologie befaßt und den Sphinx untersucht hat. Desweiteren werden wir einen Blick auf den Bau selbst werfen, und wie er sich in die umgebenden Bauten und Steinbrüche einfügt. Die Frage wird behandelt, warum der Sphinx überhaupt so stark erodiert ist, warum der Kopf im Verhältnis zum Körper zu klein ist, warum der Kopf so gut erhalten und gering erodiert ist, während der Rest des Körpers in sehr schlechtem Zustand erscheint.

Die Beantwortung dieser Fragen hängt allein vom Standpunkt des Geologen ab. Schoch mit seiner These über die Erodierung durch Regenwasser oder seine Kontrahenten mit der These der Salzexfoliation - wer hat Recht? Ist der Sphinx von Giza wirklich 3000 Jahre älter als bisher angenommen?

Wir werden sehen...

Im folgenden sollen die Analysen, die vor Schochs These erschienen sind, und auf die sich die Wissenschaft durchgehend beruft, beiseite gelassen werden. Schoch wendet sich auch ganz von ihnen ab, indem er die Erosion des Sphinx auf ablaufendes Regenwasser zurückführt, und da das in Ägypten nicht sehr häufig ist, muß der Sphinx beträchtlich älter sein als die Ägyptologie es bis dahin immer behauptet hat. Früher, vor dem Alten Reich und vor 5000 v.Chr., wäre das Klima mit lang anhaltenden Regenfällen erheblich feuchter gewesen und nur so hätte es zu diesen deutlich sichtbaren Erosionen kommen können. Nach 3100 v.Chr. hätte es in Ägypten überhaupt keine starken Regenfälle in regelmäßigen Intervallen gegeben. Das ist der Kern der These, der Schoch zu einer Datierung von 5000 bis 7000 v.Chr. bringt. Sie soll jetzt noch nicht auf ihre Richtigkeit geprüft werden, sondern einfach nur so dastehen.

Schoch sieht am Körper des Sphinx und an den drei Seiten des Sphinxgrabens das typische Verwitterungsmuster ablaufenden Regenwassers in den zahlreichen welligen, vertikalen Ablaufkanälen, die sich in den Felsen gewunden haben. Zuzustimmen ist schon jetzt seiner Feststellung, daß dieses Profil nach dem ausmeißeln des Sphinx entstanden sein muß, denn der Graben ist definitiv Steinbruch gewesen.

Sphinx-Graben

Westseite des Sphinxgrabens mit vertikalem Profil

Als Beleg für diese These führt Schoch Gräber aus dem Alten Reich in Giza an, die nicht dieses Profil aufweisen. Stattdessen sieht man dort die typischen Zeichen von Winderosionen, die üblicherweise Teile mit Kalkstein von schlechterer Qualität aushöhlen. Aber man sieht dort definitiv nicht die abgerundeten, vertikalen Profile, wie sie an dem Sphinx und im Sphinxgraben erscheinen. Die von anderen Geologen favorisierte Salzexfoliation wird von Schoch nicht ausgeschlossen. Er verweist auf die in den Sphinxgraben eingelassenen Gräber des Alten Reiches, an denen er die Spuren dieses Prozesses bestätigt. Nur, so Schoch, für das runde Profil an Sphinx und Sphinxgraben kommt dieser Prozess nicht in Frage. Desweiteren verweist Schoch auf die archaischen Gräber (1. Dynastie, ca. 3100 v.Chr.) in Sakkara, die sogar aus Lehmziegeln erbaut sind, und die nicht die geringste Spur einer Wassererosion aufweisen. Somit muß der Sphinx älter sein als die geschichtliche Zeit Ägyptens. Schoch gesteht ein, daß es vom Alten Reich an bis etwa 2300 v.Chr. eine Periode stärkeren Regenfalls gegeben hat (auch von 4000 bis 3000 v.Chr.). Er klammert aber diese Zeit, sogar die 1000 Jahre vor der archaischen Zeit, aus, weil für die enorme Verwitterung des Sphinx eine längere Periode mit starken Regenfällen ausschlaggebend gewesen sein muß. Erst vor 5000 v.Chr. sind nach Schochs Auffassung die Regenfälle lang und anhaltend genug. Ebenso argumentiert Schoch mit dem Grab des Debehen an der Südostecke der Chephrenpyramide, das - wie der Sphinx - aus der 4. Dynastie stammen soll. Aber es ist nicht in der Weise erodiert wie der Sphinx, so daß der Sphinx älter sein muß.

Der Sphinx ist geologisch und bautechnisch untrennbar mit dem sogenannten Sphinxtempel verbunden, der direkt vor dem Sphinx liegt. Selbiges gilt für den Taltempel des Königs Chephren, der südlich an den Sphinxtempel anschließt. Deshalb gehören diese beiden Tempel natürlich mit in die Betrachtung von Schoch. An beiden Tempeln sieht er dieselben Profile, die auch den Sphinx und den Sphinxgraben prägen. Er schließt daraus, daß es sich bei den gewaltigen Kalksteinblöcken der beiden Tempel um den Abbruch des Sphinx selbst handelt. Jahrtausende später kam dann Chephren, fand Tempel und Sphinx vor, ließ beides restaurieren und nahm dem Sphinx einen von ihm angenommenen ursprünglichen Löwenkopf und ersetze ihn durch seinen eigenen. Hinweis dafür sei der außerordentlich gut erhaltene Kopf, der aber in den Proportionen auffällig zu klein ist. Daß unter den zahlreichen Restaurierungen des Sphinx auch nachweislich Blöcke aus dem Alten Reich gefunden wurden, paßt augenscheinlich ersteinmal ganz gut in Schochs Hypothese. Gleiches trifft für die Granitverkleidung zu, die offensichtlich in den schon erodierten Kalkstein greift, worauf Schoch ausdrücklich hinweist. Die Granitverkleidung der Tempel kann also erst angebracht worden sein, als die Steine des Tempels schon stark erodiert waren.

Seismographische Untersuchungen ergaben, daß die Oberflächenerosionen hinter dem Rumpf des Sphinx, also an der Westseite, weniger tief reichen als an den drei anderen Seiten. Schoch schließt daraus, daß der hintere Teil wahrscheinlich erst von Chephren aus dem Felsen geschnitten wurde. Die Fläche hinter dem Sphinx ist 50-100% weniger erodiert als die drei anderen Seiten. Schoch meint, daß hier der originale Felsen noch anstand und daß die Fläche erst seit der 4. Dynastie den Elementen ausgesetzt war, also nachdem Chephren diesen Teil des Sphinx aus dem gewachsenen Felsen geschnitten hat.

Zur aufgeworfenen Frage, wer den Sphinx um 7000 bis 5000 v.Chr. errichtet haben soll, verweist Schoch auf das Jericho um 8000 v.Chr. mit dem 9 m hohen Turm aus Stein, die beeindruckende Mauer und die in den Felsen geschnittene Grube. Damit, so Schoch weiter, steht der Sphinx nicht ganz isoliert im Neolithikum. Damit glaubt Schoch eine tragfähigere These aufgestellt zu haben, als es die Ägyptologie in 200 Jahren konnte (und einige Geologen, auf die wir noch zu sprechen kommen).

Wer aufmerksam gelesen hat, wird bereits einige Widersprüche gefunden haben. Doch bevor ich auf diese eingehe, soll im 3. Teil zuerst die Basis-Geologie von Giza besprochen werden, ohne die es kein Verständnis der Zusammenhänge geben kann.

Literatur

  1. Brunner, Hellmut u.a. (Hg.): Lexikon alte Kulturen III (LAK), 1993.
  2. Engelbach, Reginald: An alleged winged Sun-Disk of the First Dynasty. in: ZÄS 65, 1930. S. 115-116 & Taf. VIII.
  3. Gundlach, Rolf: Der Pharao und sein Staat. Die Grundlegung der ägyptischen Königsideologie im 4. und 3. Jahrtausend. Darmstadt, 1998.
  4. Hendrickx, Stan: The Relative Chronologie of the Naqada Culture. Problems and Possibilities. in: Jeffrey Spencer (Ed.): Aspects of Early Egypt. London, 1996. pp. 36-69.
  5. Jordan, Paul: Riddles of the Sphinx. New York, 1998.
  6. Lehner, Mark: Das erste Weltwunder. Die Geheimnisse der ägyptischen Pyramiden. Düsseldorf, 1997.
  7. Stadelmann, Rainer: Die großen Pyramiden von Giza. Graz, 1991.
  8. West, John Anthony: Serpent in the Sky. The High Wisdom of Ancient Egypt. Eheatin, 1993.
  9. Westendorf, Wolfhart: Altägyptische Darstellungen des Sonnenlaufes auf der abschüssigen Himmelsbahn. MÄS 10, 1966.
  10. Bemerkung zum Quellennachweis:
    Alle hier vorgetragenen Behauptungen von Schoch, die ursprünglich in der Zeitschrift KMT, A Modern Journal of Ancient Egypt (Summer 92, Summer 94, Fall 94) standen, entnehme ich Paul Jordan, Riddles of the Sphinx, pp. 145-161. Das liegt schlicht daran, daß ich die Aufsätze bisher nicht besorgen konnte. Weitere Statements von Schoch stammen aus einem Fernsehefilm. Ich habe die Behauptungen verglichen mit denen auf Paul Heinrichs und Zahi Hawass' Homepage sowie mit den Aufsätzen, die ich habe, und in denen die Thematik besprochen wird (vgl. Fortsetzung). Ich konnte darin keine falsche Beurteilung meinerseits über die These Schochs finden. Falls Sie eine kennen, senden Sie mir bitte eine Mail.

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