Buchbesprechungen

Ian Shaw (Ed.): The Oxford History of Ancient Egypt. London-New York 2002.

ISBN 0-19280293-3

Es gibt keinen Grund sich von den älteren Geschichtsbüchern im Regal zu trennen. Die zwei maßgeblichen - Wolfgang Helcks und Sir Gardiners Werk - sind zwar bereits an einigen Stellen überholt, aber das gilt für das eben zu besprechende inzwischen auch schon. Die Oxford History setzt den Gegenstand der Geschichte in einen ganz anderen Betrachtungswinkel und weist darauf bereits in der Einleitung hin. Der Focus ist von einer simplen Aufreihung der Chronologie und der üblichen politischen Geschichte ziemlich weit entfernt. In mindestens dem selben Maß wird die religiöse, ökonomische, soziale, ideologische und künstlerische Geschichte beschrieben. Diese Vorgehensweise, die man auch die moderne nennen könnte, eröffent ganz neue Perspektiven und erinnert oft mehr an Assmanns "Sinngeschichte" als an Gardiners "Geschichte Ägyptens".

Die klassischen Themen kommen freilich auch nicht zu kurz. Der Herausgeber Ian Shaw eröffent mit einer Einführung über die Chronologie, deren Werkzeuge, Quellen und deren Einsatzmöglichkeiten. Erstmals beginnt dann auch ein modernes Geschichtswerk nicht nur mit dem "Beginn der geschichtlichen Zeit". Die Begrenzung auf die "schriftliche Zeit" ist ein für allemal vorbei. Stan Hendrickx und Pierre Vermeesch starten den chronologischen Ablauf deshalb im Paläolithikum und führen ihn bis zur Badari-Kultur. Béatrix Midant-Reynes behandelt die Negadezeit, und zwar lediglich bis zum Ende von Negade II. Diese Trenung ist interessant, denn darin verbirgt sich nicht weniger als die neuere Erkenntnis über den Beginn der Formung des ägyptischen Staates mit Negade III und somit gewissermaßen die Schöpfung einer neuen Epoche, die von den älteren Einteilungen erheblich abweicht. Kathryn Bard behandelt darin die Epoche von kurz vor Dynastie o bis zum Ende der 2. Dynastie, wobei der Begriff der Dynastien darin keine maßgebliche Rolle mehr spielt. Jaromir Malek ist für das Alte Reich und Stephan Seidelmayer für die 1. Zwischenzeit zuständig. Obwohl hier die üblichen Perioden verwendet werden, fällt doch auf, daß die Epochen viel besser ineinander übergehen, als das bei den älterem Werken der Fall ist, und kaum ein Teil beginnt ohne den Hinweis auf die künstliche Natur dieser Epochengliederung. In diesem Zusammenhang und überhaupt fällt der Teil über das Mittlere Reich von Gae Callender positiv auf. Dieser oft so unsichtbare Teil der ägyptischen Geschichte gehört zu den besten Darstellungen, die mir über diese Zeit bekannt sind. In dieser Ausführlichkeit und Qualität setzt sich die pure Lesefreude mit Janine Bourriaus 2. Zwischenzeit und Betsy M. Bryans 18. Dynastie fort. Das Neue Reich ist entsprechend der selbsterklärenden Epochen unterteilt. Jacobus van Dijk beschreibt die Amarnazeit und die Ramessidenzeit. Diesen Teil halte ich persönlich für ein wenig zu unterentwickelt. Gegenüber den anderen fällt er nicht inhaltlich, aber von der Ausführlichkeit her zurück. Ian Shaw schiebt einen Teil "Egypt and the Outside World" ein, der wiederum eine wahre Freude ist und nochmal bis zum Mittleren Reich zurückgreift. John Taylor behandelt die 3. Zwischenzeit, die wesentlich großzügiger davon kommt als die Amarana- und Ramessidenzeit. Das gilt auch für Alan B. Lloyds Spät- und Ptolemäerzeit. David Peacock schließt den chronologischen Teil mit der Römerzeit. Nach einem überraschenden Epilog folgt ein 26 Seiten langes kommentiertes Literaturverzeichnis, wie ich es noch nie gesehen habe. Für ein Buch dieses Ausmaßes kann man sich leicht vorstellen, daß nummerierte Quellennachweise weitere 300 Seiten verursacht hätten, die nicht mehr möglich gewesen wären. Mit diesem Literaturverzeichnis kann man sich trotzdem über jede weiterführende Literatur leicht und hervorragend informieren. Es folgt ein Glossar und eine Chronologie, die leider nicht deutlicher auf die Probleme eingeht und die nach einer Aufzählung der vorgeschichtlichen Perioden mit Aha einsetzt. Die älteren Könige sind schlicht ausgeblendet (Narmer, Skorpion, etc.!). Eine solche Chronologie macht m.E. keinen weiteren Sinn mehr. Das hätte man wesentlich besser machen können! Bildquellen und Index schließen den Band ab.

"Wenn Sie nur ein Buch über Ägypten lesen möchten, dann lesen sie dieses." So steht es auf dem Buchrücken in den Rezenssionsauszügen zur Hardcoverausgabe, die 2000 erschienen ist. Es wäre sicherlich keine gute Idee sich auf ein Buch zu beschränken, aber daneben hat die Aussage den Kern wahrscheinlich getroffen. In dieser Paperback-Ausgabe zu lesen ist aber auch sonst eine wahre Freude. Es ist durchgehend bebildert oder mit Plänen und Rekonstruktionen versehen, XV + 512 Seiten + 24 ganzseitige Farbtafeln, angenehm gestylt und für 26 Euro zusätzlich noch ein Preishit! Sämtliche Autoren sind rennomierte Ägyptologen und i.d.R. auch mit ihrem Spezialgebiet vertreten. Die Oxford History wird jedem Besitzer sicher zum ständigen Begleiter werden: maximale Empfehlung für jeden an Altägypten Interessierten!

Ian Shaw ist Ägyptologe an der University of Liverpool und hat sich auf altägyptische Steinbrüche und Minen spezialisiert. Er ist Autor/Herausgeber von "Ancient Egyptian Warfare and Weapons", "British Museum Dictionary of Ancient Egypt", "The Dictionary of Archaeology" und "Ancient Egyptian Materials and Technology".

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