Buchbesprechungen

René Adolphe Schwaller de Lubicz: The Temples of Karnak. Photographs by Georges and Valentine de Miré. Illustrations by Lucie Lamy. Rochester, [1982], 1999. Inner Traditions International.

ISBN 0-89281--712-7

Mancher Leser meiner HP mag jetzt vor Entsetzen schlucken und sich erstaunt am Kopf kratzen, wenn er hier - inmitten ägyptologischer Fachliteratur - ein Buch von Schwaller de Lubicz findet. Das bedarf natürlich einer Erklärung!

Schwaller (1887-1961) war kein Ägyptologe, er war sowohl Rosenkreuzer als auch "Esoteriker" und "Okkultist", und zwar der wahrscheinlich berühmteste. Der gebürtige Elsässer lebte erst in Paris, später in seiner Villa in Südfrankreich, wo er eine der größten Sammlungen alchemistischer Handschriften besaß, die neulich erst zum Verkauf anstanden. Besonders bekannt ist auch seine Stieftochter Lucie Lamy, die noch heute Bücher über alte Kulturen aus okkulter Sicht veröffentlicht. Von 1937 ab verbrachte Schwaller ganze 15 Jahre in Ägypten. In diesen 15 Jahren in Ägypten hat Schwaller aber nicht nur seine Thesen über den Menschen als Maß aller Dinge (Vitruv!) und die hohe Astronomie der Ägypter vorangetrieben, er hat - und deswegen wird dieses Buch hier besprochen - grundlegende und bis heute unverzichtbare Arbeiten über den Tempel von Luxor (Le Temple de l'Homme, 3 Bde., 1957) und den Tempel von Karnak herausgegeben; letztere Arbeit soll hier vorgestellt werden.

Schwaller wurde von der Ägyptologie fast durchgehend ignoriert, obwohl sie seine Werke für ihre eigene Arbeit bis heute heranziehen. Lediglich der 1997 verstorbene Tübinger Prof. für Ägyptologie Hellmut Brunner scheint ein entspanntes Verhältnis zur Familie gehabt zu haben (Brunner: Die südlichen Räume des Tempels von Luxor, 1977, S. 8.). Lucie Lamy hatte dabei einen nicht unwesentlichen Beitrag zu Brunners Arbeit geleistet. Auch Erik Hornung erwähnt Schwaller lobend in Zusammenhang mit seiner fundamentalen Arbeit in Luxor (Das esoterische Ägypten, S. 181). Heute steht Schwaller ein wenig im falschen Licht. Nicht, daß ich seine Thesen verteidigen wollte. Der Gedanke wäre abwegig. Schwaller stand in der Tradition der Wiener Proto-Nazis und seinen Büchern sind antisemitische Gedanken nicht fremd geblieben, was sich später auch auf die gewissenlosen Abschreiber West, Hancock und Bauval niederschlug. Die "moderne" Grenzwissenschaft profitiert nicht nur von Schwallers Popularität, sondern ist mangels eigener Fähigkeit zur Recherche auf einige Grenzaussagen Schwallers angewiesen, die - mehr oder weniger - als Referenz herangezogen werden. Seine unschätzbare Datensammlung aus Luxor und Karnak hat sie niemals verwendet (vgl. auch meine Besprechung über Qualitäten "moderner" Grenzwissenschaft). Schwaller hatte eine klassische Ausbildung und war äußerst belesen. Aus dieser Perspektive betrachtet könnte man ihn gut als Spezialisten betrachten. Ihm fehlte lediglich der für die Wissenschaft unentbehrliche Diskurs von These und Kritik - er war ein Einzelgänger, eine Art "Späthermetiker", der durchaus in der Lage war, den altägyptischen Geist zu fassen. Er ist gleichzeitig ein Kind seiner frühen Jahre in Paris, dem auch Marcel Griaule und das Sirius-Rätsel entstammen.

Das Buch selbst nimmt - wie diese ganze Besprechung - einen Sonderstatus ein. Weit verbreitet ist die Auffassung, daß Michalowskis "Ägypten - Kunst und Kultur" das aufwendigste Werk des letzten Jahrhunderts zum Alten Ägypten sei. Ich behaupte nach einem Vergleich, dieses Attribut gebührt Schwallers Buch über den Tempel von Karnak. Es kostet 170,-DM. Was man dafür bekommt, ist schon allein das Outfit und die Qualität des Druckes wert. 728 großformatige Seiten, ein Einband in allerhöchster Qualität, das ganze im stabilen Schuber. 452 ganzseitige Tafeln in Duoton mit unschätzbarem Quellenwert. Die Bildqualität ist so gut, daß man die Struktur des Gesteins unter den Reliefs erkennen kann. Zu diesen 452 Tafelseiten kommen 139 Abbildungen im Kommentarteil, die von ebensolcher Qualität sind, sowie 21 Diagramme. Diese Diagramme sind nicht nur die vollständigsten Grundrisse des Tempels, die ich je gesehen habe, sie geben auch exakt die Positionen jeder einzelnen Tafel wieder, so daß man wirklich genau weiß, was auf welcher Tafel dargestellt wird. Einzigartig! Zusätzlich gibt es noch 50 Abbildungen - wiederum in genannter Qualität - in den einführenden Kapiteln. Die darin enthaltenen Zeichnungen habe ich nicht mehr gezählt. Es gibt kein ägyptologisches Buch, das auch nur irgendwie dieser Ausstattung nahekäme.

Nun wäre es ja angesichts des grafischen Materials und der Qualität des Druckes schon ganz gleich, was in dem Buch an textlichem Inhalt noch geboten wird. Das Buch beginnt mit einer generellen Beschreibung des Nils in der Bedeutung für die alten Ägypter, die durch und durch als sehr gelungen bezeichnet werden kann.

Schwaller vollzieht seinen Absturz im Kapitel über die ägyptischen Hieroglyphen, in dem ebenso viel richtig wie falsch ist. Wenn er auf S. 15 behauptet, der ägyptischen Kultur muß eine voll ausgebildete vorangegangen sein, ist das nicht mit der schlechten Quellenlage seiner Zeit zu entschuldigen. Seine Beschreibung altägyptischer Mythen dagegen findet sich heute in nur geringfügig anderer Form in jedem populärwissenschaftlichen Werk der Ägyptologie. Auch die Beschreibung des Königtums hat seine Reize, wie ich unbedingt zugeben muß. In der einleitenden Beschreibung des Karnak-Tempels erfährt man interessante Details über die Symbolkraft des ägyptischen Tempels, die sich in dieser Form auch in späteren wissenschaftlichen Werken wiederfindet. Es folgt der schon hervorgehobene Tafelteil.

Den Kommentar Schwallers zu den einzelnen Tafeln gegen Endes des Bandes halte ich - andere mögen das anders sehen - für durchgehend hervorragend und grundlegend. Viele Inschriften erfahren ihre Übersetzung durch James Henry Breasted, dessen "Ancient Records of Egypt" er immer wieder gern herangezogen hat. Auch sonst bedient er sich - über das ganze Buch hinweg - wissenschaftlicher Literatur. Damit ist schon von Haus aus eine gewisse Qualität garantiert. Besonders hervorheben möchte ich auch die Detailfreude der Beschreibung, die Aspekte hervorhebt, die man beim schnellen Betrachten der Tafeln gerne übersieht.

The Temples of Karnak ist eines der wunderbarsten Bücher, die ich besitze - und das sind immerhin nicht wenige. Wenn man weiß mit Schwallers Aussagen zu leben, wenn man sie einordnen kann, ist das Buch völlig gefahrlos. Es ist aber vielmehr, nämlich die Referenz für den größten Tempel der Welt, dessen Entstehung sich durch den größten Teil der ägyptischen Geschichte zieht. Natürlich berücksichtigt es nicht die vielen Jahre der Forschung der franco-ägyptischen Mission in Karnak. Es bildet vielmehr die Basis dafür.
Man hätte sich ein wissenschaftliches Nachwort mit einer Übersicht neuerer Erkenntnisse, einem Kommentar zu Schwallers Gedanken sowie eine kleine Biographie mit einer Bewertung seiner Stellung in der Hermetik und in der Ägyptologie gewünscht. Leider erfährt man noch nicht einmal etwas über Schwaller selbst.
Wenn Sie sich für den Tempel von Karnak interessieren, ernsthaft interessieren, gibt es keinen Weg, der an diesem Buch vorbeiführt! Auch der Preis von 170,-DM ist angesichts des Gebotenen geradezu nicht ernstzunehmen.

[Ich bedanke mich bei Florian Eichhorn für die Diskussion über dieses schwierige Thema.]

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