Buchbesprechungen

Béatrix Midant-Reynes: The Prehistory opf Egypt. From the First Egyptians to the First Pharaos. Oxford, (1992), 2000. Blackwell Publishers.

ISBN 0-631-21787-8

Mit Toby Wilkinsons Buch "Early Dynastic Egypt" wurde hier schon einmal ein herausragendes Buch besprochen, das sich mit der ägyptischen Vorgeschichte befaßt. Mit Midant-Reynes' Buch scheint die Gefahr zu bestehen, daß sich der Inhalt wiederholt. Das ist nicht der Fall! Im Gegenteil: beide Bücher ergänzen sich geradezu ideal. Wilkinsons Ansatz liegt in den letzten vorgeschichtlichen Dynastien und reicht bis in das Alte Reich. Midant-Reynes legt den Schwerpunkt ihrer Besprechung auf die Zeit davor und schneidet das Thema, das chronologisch abgehandelt wird, nur auf den letzten Seiten. Der Schwerpunkt liegt hier etwa auf der Zeit von 18.000 bis 3000 v.Chr.

Es ist geradezu überflüssig, wollte ich das Buch hier besonders loben, denn tatsächlich ist es z.Zt. das einzige, das dieses Thema vollständig abhandelt - und: natürlich ist es herausragend. Die Erforschung des ältesten Ägypten ist seit einigen Jahren stark in Bewegung geraten, und ein Buch, das den aktuellen Forschungsstand aufzeigt, ist daher dringend notwendig. Mit Midant-Reynes hat sich dafür eine Autorin gefunden, die den unschätzbaren Vorzug mitbringt, selbst an prädynastischen Stätten Ägyptens als Archäologin tätig zu sein.

Das Buch gliedert sich in 4 Abschnitte. Für das Vorwort ließ sich der bedeutende Ägyptologe Jean Leclant gewinnen. In der Einführung läßt die Autorin die Erforschung des vorgeschichtlichen Ägypten an sich vorüberziehen. Part I beschäftigt sich mit der Geologie und den klimatischen Verhältnissen des Niltals und den angrenzenden Wüsten, was für das Verständnis der kulturellen Entwicklungen geradezu grundlegend ist. Part II ist dem Paläolithikum gewidmet. Midant-Reynes verfolgt die ältesten menschlichen Spuren im Niltal über den Beginn kultureller Eigenarten bis zum Übergang ins Neolithikum. Diesem Neolithikum, das in Ägypten relativ spät eintritt, gilt Part III. In aller denkbaren Ausführlichkeit wird der Prozess der Neolithisierung für die zentrale Sahara, die Wüsten und das Niltal gesondert vorgestellt. Und auch hier kann die Autorin das Geschehen nochmals unterteilen, nämlich in die Ereignisse der frühen Holozäns, der großen Feuchtepoche um 12.000 bis 8000 v.Chr., und dem mittleren Holozän, der großen Trockenphase von 8000 bis 6500 v.Chr. Spätestens hier, mit dem Mesolithikum, greift Midant-Reynes auch auf die Entwicklung Nubiens zurück. Den großen neolithischen Kulturen, Fayum, Merimde, Omari, Tarif, Karthoum, Sahara und Badarian wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Part IV setzt mit der Epoche ab 4000 v.Chr. an, der Zeit also, die man gemeinhin das prädynastische Ägypten nennt. Untergliedert in Ober- und Unterägypten werden Negade, Maadi, Wadi Digla, Heliopolis, Buto und andere Maadiorte in allen Phasen abgearbeitet. Der nubischen A-Gruppe und dem späten Neolithikum Karthoums wird ein gesonderteres Kapitel gewidmet. Schließlich führt uns der Lauf der Zeit zu den ersten Pharaonen und der Vereinigung der Beiden Länder, mit denen das Buch endet.

Von höchstem Interesse sind die beiden Anhänge. Anhang 1 behandelt die relative Datierung und das traditionelle System zur Datierung, Anhang 2 beschäftigt sich mit den Methoden der absoluten Datierung. Unter Charts and Maps folgen ab S. 262 recht sinnvolle und hilfreiche grafische Umsetzungen der Chronologie und der Geographie. Mit S. 270 beginnt ein Glossar, das jeder Leser schnell schätzen lernen wird, wenn ihm Fachbegriffe begegnen, die er außerhalb dieses Kontextes nie wieder finden wird. Auf das Verzeichnis des Abkürzungen folgt eine ganz hervorragende Bibliographie. Ich kenne keine zu diesem Thema, die auch nur ansatzweise dieses Material anführen könnte. Ebenso viel Wert scheint man auf den Index gelegt zu haben, denn auch ein vergleichbarer Index will mir in dieser Ausführlichkeit im Moment nicht einfallen.

Man kann da anderer Auffassung sein, aber es ist meiner Ansicht nach immer sehr hilfreich, wenn man von einer "Geschichte" auch den Anfang kennt. Dieser steht in diesem Buch. Viele Eigenarten der ägyptischen Kultur finden ihre Ursprünge in der Zeit, die dieses Buch bespricht. Von daher meine ich durchaus, daß jeder überdurchschnittlich interessierte Leser ägyptologischer Literatur dieses Buch kennen sollte. Durch die Übersetzung von Ian Shaw, selbst Ägyptologe, wurde die französische Originalausgabe von 1992 noch auf den neuesten Stand gebracht - ein Alter von 8 Jahren hat auf diesem Sektor z.Zt. durchaus seine Relevanz.

Mit rund 55,-DM für ein Taschenbuch mit 328 Seiten und 22 Darstellungen im Text, 4 Diagrammen und 5 Karten ist der Leser gut bedient. Das ist der übliche Preis für Bücher dieser Aufmachung. Die trotz des komplexen Materials durchgehend gute Verständlichkeit genügt auch dem einfachen Hobby-Ägyptologen.

Béatrix Midant-Reynes ist Head of Research am Centre de la Recherche Scientifique in Toulouse und Herausgegeberin der Fachzeitschrift Archéonil, die sich mit der Vorgeschichte Ägyptens und Nubiens beschäftigt. Weiterhin ist sie Direktorin der Ausgrabungen der prädynastischen Anlagen von Adaima. 1986 war sie Humboldt-Stipendiantin in der Staatlichen Sammlung ägyptischer Kunst in München.

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