3D-Rekonstruktionen
3D-Rekonstruktionen in der Ägyptologie

Kaum eine Dokumentarsendung und kaum ein Buch - ob wissenschaftlicher oder populärwissenschaftlicher Natur - kommt heute ohne 3D-Rekonstruktionen aus. Bisweilen werden daraus auch aufwendige Animationen. Ist das alles nur "ganz schön", oder gibt es einen wissenschaftlichen Wert für die Arbeit mit 3D-Software? Im folgenden soll diese Frage ein wenig vertieft werden. Grund dafür ist, daß auf dieser HP zunehmend solche Software zum Einsatz kommen wird.

Blick vom Eingang in die Königskammer der Cheopspyramide nach Westen.
Die Textur ist eigentlich nicht korrekt, da der Rosengranit der Königskammer
der dunkleren Sorte angehört.

Die erste Beobachtung, die man in Zusammenhang mit der auf dieser Homepage favorisierten Periode machen kann, ist der schon als akut zu bezeichnende Mangel an sichtbaren Befunden. Von der Vorgeschichte bis zum Ende der 2. Dynastie besteht der Betrachtungsgegenstand fast ausschließlich aus den Grabungspublikationen und den darin befindlichen Plänen. Die Fotos sind gerade bei älteren Publikationen nicht selten von so schlechter Qualität und die Auswahl der Motive so unglücklich, daß man sich eigentlich kein richtiges Bild machen kann. Praktisch alle vor- und frühzeitlichen Grabanlagen werden zu ihrem eigenen Schutz nach der Grabung wieder zugesandet [ 1 ], oder sind von selbst längst wieder unter endlosen Dünen verschwunden. Lediglich Keramik und Kleinfunde können manchmal in einem Museum betrachtet, jedoch oft genug nicht fotografiert werden. Ein weiterer großer Teil ruht in irgendwelchen Magazinen, die mangels Geld niemals einen Platz im Museum finden werden, oder ist durch die Wirren des 2. Weltkriegs ohnehin für immer verloren. Der Kontext des Befunds ist besonders bei älteren Publikationen bestenfalls noch zu erraten. Die Beschäftigung mit dieser Epoche, besonders mit den architektonischen Resten, ist bis auf wenige Ausnahmen [ 2 ] Gegenstand der persönlichen Visualisierungsfähigkeit [ 3 ].

Blick auf den Eingang und die Nische der Königinnenkammer.

Viel besser sieht es auch nicht im Alten oder Mittleren Reich aus. Der größte Teil der Pyramiden und Gräber ist unzugänglich. Teilweise sind sie durch die Altertümerverwaltung geschlossen, da sie für die Zukunft bewahrt werden sollen [ 4 ]. Teilweise sind sie aus Sicherheitsgründen geschlossen, wie das z.B. bei der Pyramide des Userkaf der Fall ist, die seit Perring niemals mehr jemand wegen akuter Einsturzgefahr betreten konnte - das war 1839 [ 5 ]! Die Pyramiden von Illahun oder Hawara wurden noch rechtzeitig vor der Erhöhung des Grundwasserspiegels von Petrie erforscht und publiziert. Seitdem sind sie nicht mehr zugänglich. Kaum besser, eher schlechter, steht es um die Tempelanlagen. Die wunderbaren Reliefs, besonders bei Sahure oder Pepi II., die bei den Grabungen vor Ort gefunden wurden, befinden sich zu einem kleinen Teil noch vor Ort, der größere wurde in alle möglichen Museen der Welt abstransportiert [ 6 ]. Nicht einmal der Grundriß ist in vielen Fälle auszumachen. Daß man auf dem Fundament eines Tempels steht, ist z.B. an der Pyramide von Illahun nur anhand eines Plans festzustellen. Weder von den Pyramiden, noch von den Tempelanlangen, existieren brauchbare Fotos, aus denen man sich ein Bild machen könnte (aus dem Innern der Pyramide des Userkaf existiert kein einziges Foto).

Längst nicht alle, aber viele dieser Daten, aus denen man dreidimensionale Modelle erstellen könnte, stehen aber Stück für Stück zur Verfügung. Ich möchte einmal ein ganz extremes Beispiel anführen, nämlich die Pyramiden von Mazghuna. Aus den Plänen von Ernest Mackay läßt sich lediglich ein grober Eindruck aus Draufsichten und Seitenansichten gewinnen [ 7 ]. Der Fugenverlauf ist nicht gezeichnet, der Maßstab, besonders der Seitenansicht, ist völlig indiskutabel (kaum mehr als ein länglicher schwarzer Fleck!). Erstaunlicherweise findet man fast alle Angaben im ausführlichen Text [ 8 ]! Diese Angaben sind bisweilen so detailliert, daß Mackay sogar die Größe der einzelnen Steine einer Wand angibt [ 9 ]! Von diesen Pyramiden läßt sich also - wenn auch mit etwas Mühe - ein fotorealistisches Modell erstellen, das Details sichtbar macht, die noch nie jemand außer Mackay selbst zu Gesicht bekam, und die auch niemand mehr zu Gesicht bekommen wird. Die Pyramiden von Mazghuna sind kein Sonderfall. Dieses Phänomen zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle BSAE- und ERA-Publikationen eines halben Jahrhunderts und noch weit darüber hinaus.

Blick über den Sarkophag der Königskammer nach Osten.

Ein weiteres primäres Anwendungsgebiet für 3D-Software findet sich auch ganz schnell in Fällen, in denen das betreffende Bauwerk überhaupt nicht mehr existiert! Dies ist z.B. beim sog. "Menesgrab" bei Negade der Fall, das bald nach der letzten Erforschung durch Garstang im März 1904 durch Sebachin völlig zerstört wurde [ 10 ]. Dreidimensionale Darstellungen sind für die Wiedergabe der Konstruktionstechnik ganz unabdingbar. Leider ist diese Disziplin bei der Erforschung der Pyramiden und Tempel noch immer stark vernachlässigt. Erstmals wirklich ernsthaft wurde sie erst ganz aktuell in den Publikationen von Labrousse besprochen und dargestellt [ 11 ].

Das sog. "Menesgrab" bei Negade (vorläufig ohne Feingliederung).

Rekonstruktionen bilden seit je her einen Hauptbestandteil archäologischer Grabungsberichte. Noch heute erfreuen sich z.B. die Zeichungen Borchardts größter Beliebtheit. Ebenfalls erstmals von Borchardt wurden Modelle eingeführt. Ein solches ist z.B. im Ägyptischen Museum von Kairo zu sehen [ 12 ]. Eine rechnergestützte Rekonstruktion war bis noch vor relativ kurzer Zeit allein auf Großrechnern und unter Verwendung teurer, praktisch unbezahlbarer Software möglich. Diese Zeiten sind ein für allemal vorbei. Die Programme der Mittelklasse haben in den letzten Jahren so immens an Qualität zugelegt, während gerade die teuren Produkte nicht gerade durch Innovation geglänzt haben, daß es kaum noch gute Gründe gibt - selbst für Profis - in die Highend-Klasse zu investieren [ 13 ]. Mit dieser Software, die sich praktisch jeder leisten kann, der sich auch ein professionelles Office-Paket gönnt, ist es nun möglich, fotorealistische Bilder und Animationen zu erstellen, die - wenigstens theoretisch - nicht vom Original zu unterscheiden sind. Ausschlaggebend für das Maß an Authenzität ist dabei:

Modell der Grabanlage Sahures im Ägyptischen Museum, Kairo.

  1. die Quellenlage. Welche Daten stehen für die Modellierung zur Verfügung (exakte Maße, Konstruktionsdetails wie Verlauf der Fugen, Mauerwerkstypen, verwendete Gesteinsart, etc.).
  2. das Maß an Arbeit, das man in die Modellierung, Textuierung und in das Rendering steckt (und natürlich die Rechenzeit, die man dafür in Kauf nimmt).

Die Archäologie selbst bedient sich der 3D-Rekonstruktion zunehmend. Bekannte Beispiele sind das Giza Plateau Mapping Project oder die Veröffentlichungen von Audran Labrousse über die Grabanlage Pepi I. in Sakkara [ 14 ]. Neben dem Umstand, daß sich der Befund in 3D wieder herstellen läßt, zählt dabei noch ein weit wichtigerer Aspekt, nämlich eine einzigartige Verwaltung der Bemaßung. Die Aufnahme archäologisch gewonnener Daten in CAD-Systeme ist so üblich wie die Verwendung des klassischen Grabungswerkzeugs. Im Falle größerer Projekte sind diese Maße kaum in Plänen unterzubringen, bzw. nicht mehr sinnvoll ables- und verwaltbar. Wenn man von den Bänden von Maragioglio&Rinaldi absieht, die eine positive Ausnahme bilden, dann ist von Haus das Ausmessen am Plan mit Hilfe des angegebenen Maßstabs oft die einzig mögliche Methode. Einmal im dreidimensionalen Raum untergebracht, lassen sich in einer Software alle Maße - relativ oder absolut - mit einem einzigen Mausklick abfragen [ 15 ]. Die Genauigkeit der Ausgabe ist nur von der des Quellenmaterials abhängig.

Türpfosten aus Rosengranit aus dem Pyramidentempel der Königin Oudjebten in Sakkara-Süd, nach Jequier, La pyramide d'Oudjebten, S. 9, Fig. 3. Die Erstellung dieses Pfostens dauert etwa 10 Minuten. Er besteht aus zwei Steinen, das Relief ist mit Bumpmapping erstellt, d.h., Jequiers Zeichung wird eingescannt, bereinigt, zugeschnitten und dem Objekt zugewiesen. Alle Unebenheiten des Reliefs rühren aus Jequiers Zeichnungen. Das Original ist wesentlich gleichmäßiger.

Die Zusammenführung des Befunds aus verstreuten Reliefs und magazinierter Keramik, die Verwaltung aller Maße bei allen Abfragemöglichkeiten und die Visualisierung aller Einzelheiten inkl. der näheren Umgebung (Verlauf des Nils im Altertum, natürliche Erhebungen) sind ausschließlich in 3D-Software möglich. Die darüber hinausgehenden Möglichkeiten sollen hier nicht weiter besprochen werden. Als Ausblick soll eine Datenbankanbindung erwähnt werden, anhand derer z.B. Reliefs eines Tempels inhaltlich und über den Anbringungsort analysiert werden könnten. Eigene Programmierschnittstellen gehören standardmäßig zur gehobenen 3D-Software.

Nach monatelangem Testen der verschiedensten Programme bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die Anforderungen am besten mit Cinema 4D 7 umgesetzt werden können. Ausschlaggebend war nicht nur der relativ günstige Preis, sondern vor allem die Feature-Liste und Render-Qualität von Cinema, die bisweilen der Highend-Klasse noch überlegen ist (z.B. der Objektmanager). Alle Rekonstruktionen auf dieser HP, auch die noch kommenden, sind ausschließlich mit Cinema 4D 7.3 erstellt.

3D-Links zur Ägyptologie

Modellierung einer Tempelanlage im Sudan

Die virtuelle Rekonstruktion des Löwentempels von Musawwarat es Sufra

A Virtual Exploration of the Lost Labyrinth. Developing a Reconstructive Model and Planning System of Hawara Labyrinth Pyramid Complex and The Roman Period Cemeteries

Welcome to the Egyptian Tomb of Menna

LE PROJET DANS L'ARCHITECTURE ÉGYPTIENNE par Pietro TESTA

THE GIZA PLATEAU MAPPING PROJECT (GPMP)

Digital Egypt for Universities

3D facial reconstruction and visualization of ancient Egyptian mummies using spiral CT data Soft tissues reconstruction and textures application

3D Technology Unlocks Secrets of 3,000-Year-Old Egyptian Mummy

Virtual Kahun

Building a database of ancient Egypt

Computerised 3D facial reconstruction

Reconstitutions 3D et maquettes de temples égyptiens

Complexes Religieux de Karnak et Louxor. Reconstitutions

Anmerkungen

[ 1 ] Dreyer, Umm el-Qaab, 9./10. Vorbericht, S. 146. Zur Auflösung der ägyptologischen Abkürzungen und Literatur.
[ 2 ] Eine solche war z.B. Emery. Er hat für alle seine ausgegrabenen Mastabas großzügige isometrische Rekonstruktionen zur Verfügung gestellt.
[ 3 ] Ein gutes Beispiel, wie man den ursprünglichen Befund mit viel Aufwand wieder herstellt, liefert Kahl, Vergraben, verbrannt, verkannt und vergessen. Funde aus dem Menesgrab.
[ 4 ] wie z.B. die Pyramide des Unas, s. Spotlight Interview 2000.
[ 5 ] Perring, Pyramids of Gizeh III, S. 9-10, Pl. IX; Vyse, Operations III, S. 37-41; Stadelmann, Pyramiden, S. 161.
[ 6 ] Für die Verteilung der Reliefs aus den Sahure-Tempeln über die Museen der Welt, s. Borchardt, Sahure II, S. 185-186.
[ 7 ] in: Petrie, The Labyrinth, Gerzeh and Mazghuneh, Pl. XXXIX-XLIX.
[ 8 ] ibd., S. 41-55.
[ 9 ] z.B. S. 44.
[ 10 ] Kahl, op.cit., S. 8.
[ 11 ] Labrousse, Les pyramides a textes I-II; ders.,Les pyramide des reines; ders., Regards sur une pyramide.
[ 12 ] vgl. Borchardt, Die Pyramiden.
[ 13 ] vgl. Jörn Loviscach: Pixel-Explosionen. 3D-Softwarepakete der Mittelklasse für Windows, Mac OS und Linux, in: C't 12/2001, S. 164ff. Mit dem Flagschiff der Mittelkasse, Lightwave, sind immerhin Produktionen wir StarTrek oder Babylon 5 entstanden. Die Mittelklasse ist also definitiv eine Profiklasse! Gleichzeitig zeichnet sich im Moment eine Preisreduzierung der Highend-Klasse ab, die zumindest in einem Fall so drastisch ausfällt, daß die Unterscheidung in Klassen ohnehin nicht länger sinnvoll ist. Es steht außer Frage, daß die nahe Zukunft weitere erhebliche Änderungen am Markt mit sich bringen wird.
[ 14 ] Labrousse, Les pyramide des reines; ders., Regards sur une pyramide.
[ 15 ] Achtung, nicht jede 3D-Software besitzt die Genauigkeit eines CAD-Programms! Discreets 3D-Studio Max verbiegt selbst in der aktuellesten Version 4 noch die Maße nach Belieben, vgl. Harald Vogel, 3ds max4 - Professionelle Workshops und Animation, Bonn 2001, S. 116!

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