Die Große Pyramide

des Königs Cheops in Giza

Abends im Ostfriedhof

Kurze Geschichte der Erforschung I

Dieser Abschnitt ließe sich allein durch eine tabellarische Anführung der Reisenden und Wissenschaftler füllen, die in den letzten zwei Jahrtausenden die Große Pyramide be- und untersucht haben. Ein einigermaßen informativer Überblick ergäbe ein Buch von nicht geringem Umfang, während eine detaillierte Beschreibung, die auch auf die Hintergründe der jeweiligen Epoche eingeht und einen Blick auf das Erlebte und Beobachtete wirft, leicht zum Lebenswerk avancieren könnte. Dafür ist hier nicht der richtige Ort. Die Erforschung der großen Pyramide von Giza ist eine eigene Geschichte, die sich heute verstreut in vielen kurzen und wenigen besseren Beschreibungen finden läßt [ 1 ]. Ein Blick auf die jeweiligen Epochen und die aktuellen Tätigkeiten sollte aber in einigermaßen kurzer und unvollständiger Form möglich sein.

I. Altägyptisches Interesse

"Archäologie" war auch schon im Alten Ägypten eine praktizierte Tätigkeit. Chaemweset, Sohn Ramses' II. und Hoherpriester von Memphis, reiste mit dem Oberbaumeister Maja als Restaurator durch die Lande [ 2 ]. Es gibt keinen direkten Hinweis darauf, daß auch die Cheopspyramide Gegenstand solcher Arbeiten war, jedoch einige Indizien, die mit dem Verschwinden der Verkleidung leider für immer verloren sind [ 3 ]. In einem Brief aus der Regierungszeit Ramses II. geht hervor, daß die Könige von Ober- und Unterägypten im Friedhof von Memphis "noch ungestört in ihren Pyramiden weilen" [ 4 ]. Ein Zusammenhang zu der Revision Chaemwesets scheint leicht möglich; der Absender ist nicht bekannt.

Sicher in der 21. Dynastie und mit einer wesentlichen Beteiligung der 26. Dynastie, vielleicht aber schon in der 18. Dynastie, entstand der berühmte Tempel der Isis, der die Stelle des Pyramidentempels einer Gemahlin des Cheops einnimmt, die später unter dem Namen Henutsen bekannt wird [ 5 ]. Obwohl diese Einrichtung kaum restauratorischen Vorhaben gedient haben wird, sondern vielmehr kultischen, wird der Name des Cheops dort in zahlreichen Inschriften erwähnt.

Eine besondere Beziehung zur Pyramide des Cheops hatte König Amasis aus der 26. Dynastie (s.u.). Während seiner Regierung soll Thales die Pyramide besucht haben, wobei er auch ihre Höhe bestimmen konnte [ 6 ].

II. Antike und Christentum

Die Geschichte der "Erforschung" der Großen Pyramide beginnt mit Herodot aus Halikarnassos, der im 5. Jahrhundert v.Chr. das von den Persern besetzte Land am Nil bereist hat [ 7 ]. Sein Bericht hat allgemein eine "schlechte Presse" hervorgebracht (Spiegelberg, Herodot, S. 4.). Fast das ganze Altertum hatte sich gegen ihn gewandt, Diodor (I 69) bezichtigte ihn, "er habe seinen Lesern statt der Wahrheit unglaubliche Geschichten und Mythen vorgesetzt, indem er ihren Instinkten geschmeichelt habe" [ 8 ]. Lucian nannte Herodot gar einen "Lügner".

Daß Herodot die Pyramiden von Giza den richtigen Herrschern - Cheops, Chephren und Mykerinos - zuweisen konnte und die Funktion der Pyramiden richtig als Königsgräber erkannte, ist eine Sache. Ohne Frage sind das Informationen, die er den Priestern von Memphis zu verdanken hat, die selbst wiederum eindeutig vom archäologischen Interesse der Spätzeit profitierten [ 9 ]. Aber diese Zeit lag schon lange zurück und Herodot fand ein "traumatisiertes Land" [ 10 ], "einen Nachhall herrlicher Ahnentage" vor [ 11 ]. Es ist fast erstaunlich, daß Herodot über seine eigenen Beobachtungen hinaus noch glaubhafte Informationen erhalten konnte. Und so ist es vielleicht keine allzu große Überraschung, daß sich diese Information mitten unter verwegenen Geschichten über Sklaven und despotische Könige befindet, die zudem chronologisch erheblich falsch nach Ramses II. eingruppiert wurden [ 12 ]. Die despotische Darstellung von Cheops und Chephren steht schon krass im Gegensatz zu den tatsächlichen Begebenheiten der Spätzeit, die vielmehr immense Bemühungen unternahm, das Andenken an die weit entfernte Zeit und an unsere zwei Könige aufrecht zu erhalten bzw. wiederherzustellen [ 13 ]. Daß ihm diese Geschichten von den Priestern in Memphis aufgetischt wurden, wird man kaum annehmen können. Es ist viel eher anzunehmen, daß Herodot diese nicht einmal von Ägyptern, sondern von Griechen gehört hatte, die zahlenmäßig stark im Delta vertreten waren, und die ursprünglich von Psammetich als Söldner dort angesiedelt wurden [ 14 ]:

    "Ja er vertraute ihnen sogar ägyptische Knaben an, daß sie die gründlich in der ägyptischen Sprache unterwiesen, und von ihnen, die damals die Sprache erlernt haben, stammen die jetzigen Dolmetscher in Ägypten ab."

Daher werden wir es bei den zahlreichen farbigen Bildern seiner Erzählung mit jenen Ausschmückungen zu tun haben, die man auch heute noch - wie zu allen Zeiten - hören kann, wenn leichtgläubige Touristen von einheimischen "Führern" die Geheimnisse von 1001 Nacht erfahren [ 15 ]. Und wir erfahren von Herodot selbst einmal, daß er besonders abwegige Geschichten als "Bloßes Geschwätz" entlarvt [ 16 ]. In der Erzählung über Giza befindet sich immerhin noch an einer Stelle eine Beobachtung, die von Herodot selbst gemacht worden sein könnte. Seine Beschreibung des Aufwegs ist nicht ganz unzutreffend [ 17 ]. Daß der Sphinx nicht die geringste Erwähnung fand, ist dagegen sehr sonderbar. Überhaupt fällt auf, daß seine Geschichte über die drei Könige von Giza alles ist, was aus dem ganzen Alten Reich Erwähnung gefunden hat [ 18 ]. Und diese Geschichte offenbart auch ihre ganze ionische Pracht, wenn sie von der Größe einer Pyramide direkt auf das Ausmaß der Tyrannei schließt [ 19 ]. Eine Geschichte Herodots hat sich bis heute gehalten [ 20 ]:

    "Also zehn Jahre vergingen darüber und über dem Bau der Kammern in dem Hügel, auf dem die Pyramiden stehen. Diese Kammern unter der Erde erbaute er als Grüfte für sich, auf einer Insel, denn er leitete einen künstlichen Nilarm herzu."

Herodot war zu wichtig und bestimmte das Ägyptenbild der kommenden Reisenden [ 21 ]. Noch mehr, denn das Märchen von den Sklaven des Pyramidenbaus ist sogar bis heute "unausrottbar" [ 22 ]. Diodor von Sizilien ist deutlich anzumerken, daß er ohne Herodots Schrift nichts vorzuweisen hat. Er weist die Pyramiden Chemmis (=Cheops), Chephren und Mykerinos zu und meint [ 23 ]:

    "Über die Pyramiden findet man übrigens bei den Eingeborenen sowohl als bei den Geschichtsschreibern durchaus keine übereinstimmenden Nachrichten. Denn einige behaupten, sie seien von jenen drei Königen erbaut worden, andere, sie seien von anderen erbaut worden. Man läßt z.B. die größte von Armäus errichtet sein, die zweite von Amasis, die dritte von Inaros..."

Amasis war z.B. der fünfte König der 26. Dynastie, und gehörte damit ausgerechnet jener Zeit an, die sich um die Wiederherstellung des Andenkens an die großen Könige der glorreichen Vergangenheit besonders verdient gemacht hatte. Vielleicht hatte irgendjemand seinen Namen an den späten Denkmälern in Giza gefunden. Inaros dagegen war ein libyscher Gegenkönig von Ataxerxes I. (27. Dynastie), der 463 v.Chr. das Delta von den Persern erobern konnte und schließlich in Persien gekreuzigt wurde. Daran kann man gut sehen, wie schlecht es wirklich um die Quellen Diodors stand. Nichts von historischem Wert war im 1. Jahrhundert v.Chr. greifbar. Strabon kann nur wiederholen, was Herodot und Diodor berichtet hatten. Über das Innere der Pyramide weiß er aber - ähnlich Herodot - folgendes zu berichten [ 24 ]:

    "High up, approximately midway between the sides, ist has a movable stone,
    and when this is raised up there is a sloping passage to the vault."

Plinius fällte sein berühmtes Urteil "regum pecuniae otiosa ac stulta ostentatio" und entschuldigt seine Unkenntnis in rein griechischer Weltsicht damit, daß es die gerechte Strafe sei, wenn man die Erinnerung an die Erbauer vergessen habe. Er bezieht sich ausdrücklich auf die offensichtliche Uneinigkeit seiner Vorgänger [ 25 ].

In Ägypten folgt die frühchristliche Zeit, die nicht nur erhebliche kulturelle Veränderungen mit sich brachte, sondern zudem den Verlust der Kenntnis der Hieroglyphen [ 26 ]. Es ist die Zeit, in der die einstigen Götterschreine umgestürtzt werden, um als Altar Verwendung zu finden [ 27 ]. Und es ist jene Zeit, in der die ägyptischen Götterbilder dem Meisel der christlichen Mönche zum Opfer fallen [ 28 ]. Zum Höhepunkt dieser Entwicklung - um 390 n.Chr. - sind seit Herodot bereits weit über 800 Jahre vergangen, in denen Ägypten viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um noch Volkstraditionen der ebenfalls längst vergessenen Spätzeit zu tradieren. Über Cheops und dessen Pyramide weiß niemand mehr etwas - liegen doch schon zwischen Herodot und Cheops mehr als 2500 Jahre. Schon im 5. Jahrhundert n. Chr. treffen wir die berühmte Deutung der lateinischen Schriftsteller Julius Honorius und Rufinus, die aus den Pyramiden die Kornspeicher des Joseph machen [ 29 ].

Gleichsam problematisch ist die Frage nach dem Zustand der Pyramide und der ersten Öffnung in dieser Zeit [ 30 ]. Allgemein wird aufgrund der zahlreichen Hinweis an anderen Stellen angenommen, daß die Cheopspyramide schon in der 1. Zwischenzeit ausgeraubt wurde [ 31 ]. Kàkosy ist sich nach einer Analyse der antiken Texte sicher, daß man zwar insgesamt über einen Absteigenden Gang und eine unterirdische Kammer bescheid wußte, aber daß die Beschreibung Herodots eindeutig zeigt, daß in der Antike keine Details bekannt waren. Herodot bringt nicht nur eine ganz falsche Beschreibung der unterirdischen Anlage, die stattdessen eindeutig eine Beschreibung eines sogenannten "Osirisgrabes" ist, wie es erstmals im Mittleren Reich in Erscheinung tritt. Herodot fällt vielmehr besonders dadurch auf, daß er - und auch sonst niemand bis zum Mittelalter - ein oberirdisches Gangsystem überhaupt nur erwähnt [ 32 ]. Es ist praktisch unvorstellbar, denn die Große Galerie ist ganz sicher eine Einrichtung, die vielfach Interesse und Ausdeutung erfahren hätte. Somit ergeben sich folgende wahrscheinliche aber unsichere Schlußfolgerungen:

  1. Lange vor der Antike, möglicherweise in der 1. Zwischenzeit, wurde die Cheopspyramide erstmals erbrochen und dabei der Absteigende Gang und folglich die Felsenkammer entdeckt. Die granitenen Blockierungssteine des Aufsteigenden Ganges sitzen noch heute an Ort und Stelle, sodaß die oberen Räume auf diesem Wege sicher nicht erreicht werden konnten. Anschließend wurde der Zugang womöglich wieder verschüttet und blieb für lange Zeit vergessen. Gehalten hat sich die Kenntnis von einem unterirdischen Gangsystem, wie es auch bei Strabon auffällig zum Ausdruck kommt (Die zahlreichen Beschreibungen der Felsenkammer im Mittelalter (s.u.) sind - wie schon bei Herodot - derart unzutreffend, daß es sich vielleicht auch hier eher um die mündliche Überlieferung aus alter Zeit als um die tradierte Beschreibung al-Mamuns handeln wird!).

  2. Die Beschreibung des Inventars durch die Araber im Mittelalter (s.u.) ist ganz sicher keine Beschreibung, die Objekte aus dem Alten Reich bezeichnet [ 33 ]. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß entweder die ursprünglichen Grabräuber oder andere, die ebenfalls noch lange vor der Antike in die Pyramide eindrangen, den sogenannten Grabräuberschacht entdeckten, der einen Weg, wenn auch einen unbequemen, vom unteren Ende des Absteigenden Ganges zum unteren Ende der Großen Galerie bot. Damit waren die Blockierungssteine umgangen und der Weg zur Beraubung des eigentlichen Inventars frei. Daß darüber keine Nachrichten vorliegen, läßt besonders an eine Aktion von Grabräubern denken, bei der man genau das erwarten würde.

  3. Auffallend ist die Beziehung zwischen Amasis zur Cheopspyramide. Die Zuweisung der Mykerinospyramide durch Herodot an Rodophis, die ebenfalls unter Amasis lebte, scheint kaum zufällig erklärbar. Lucian behauptet, daß Amasis in einer Pyramide bestattet war [ 34 ]. Daraus und aus weiteren Hinweisen, darunter die arabische Beschreibung eines anthropoiden Steinsarkophags, wie er zunächst im Neuen Reich und anschließend erst wieder in der Saitenzeit auftritt und ein Vergleich u.a. mit der Mykerinospyramide, die ebenfalls einen saitischen Sarkophag aufweist, schließt Kàkosy auf eine Bestattung des Amasis in der Cheopspyramide [ 35 ]. Damit wäre zumindest hypothetisch eine Erklärung geliefert, warum die Pyramide unter den Arabern wieder verschlossen war [ 36 ]. Bei Strabos aufklappbarem Stein könnte es sich tatsächlich um eine von Amasis angebrachte Vorrichtung handeln. Im Alten Reich war dergleichen jedenfalls nicht bekannt.

III. Das Mittelalter

Im Jahr 642 verliert Byzanz das Land am Nil an die Araber. Wenn der Schnitt vielleicht auch nicht so scharf verlief und Spuren aus den verschiedensten Lebensbereichen von der christlichen Zeit in die arabische hineinreichen [ 37 ], so bringt eine weitere grundlegend verschiedene Epoche auch neue Annäherungsversuche an die Pyramiden, ihre Bedeutung und ihre Erbauer mit sich, die sich freilich an keiner Stelle auf verläßliche Daten stützen können. Welche Kapriolen die Geschichte hier bisweilen schlagen kann, zeigt der jüdische Phantast Artapanus im 2. Jahrhundert n.Chr. in seiner Geschichte über Moses, den er mit Hermes gleichsetzt, und den er zum Begründer Ägyptens macht [ 38 ]! Und mit Hermes sind wir bei der zentralen Übergestalt der Araber, und - praktisch konsequenterweise und nach deren Ansicht - beim Erbauer der Großen Pyramide.

Die Ursprünge der arabischen Traditionen um die Cheopspyramide sind höchst interessant und komplex. Sie entspringen allen umgebenden Kulturkreisen und bilden schließlich eine einzigartige Symbiose fast aller klassischen Elemente des Orients [ 39 ]. Schon der älteste arabische Geschichtsschreiber, Abd al-Hakam, der selbst einer ägyptischen Familie entstammte und bestens über die lokalen Traditionen unterrichtet war [ 40 ], berichtet [ 41 ]:

    "Nach dem, was einige Überlieferer mitteilen, wurden zur Zeit des Šaddad b.'Ad die Pyramiden erbaut; wir haben jedoch bei keinem ägyptischen Gelehrten irgend einen zuverlässigen Bericht gefunden."

Auch in dem berühmten Werk Muhammad al-Makrizis, dem Hitat, kommt der Sammler der zahlreichen Legenden gleich in der Einführung darauf zu sprechen [ 42 ]:

    "Die Leute sind sich über die Zeit ihrer Erbauung, über den Namen des Erbauers und die Ursache ihrer Erbauung nicht einig und haben die verschiedensten Meinungen geäußert, die aber meist verkehrt sind."

Und so ist die große Sammlung der arabischen Geschichtsschreiber eine Sammlung unzähliger widersprüchlicher Vermutungen und Märchen, die weniger Aufschluß über die Cheopspyramide als über das kulturelle Milieu und den Überlieferungsschatz jener Zeit bieten. Auch die direkten Erben der ägyptischen Kultur, die Kopten, erwähnen ursprünglich keine einzige der Legenden über die drei Pyramiden von Giza [ 43 ]. Für diese nun hat später die arabische Tradition drei unterschiedliche Legenden hervorgebracht, die entweder Hermes, Saurid (koptische Version) oder den mythischen Helden Shaddad ibn 'Ad ins Zentrum des Geschehens rücken. Hermes ist eine Figur der Griechen, die um die Zeitenwende in Ägypten lebten [ 44 ]. Und tatsächlich findet dieser Hermes seine Ursprünge im altägyptischen Gott Thot. Im demotischen Roman Setna ist es der Gott Thot, der seine magischen Bücher in Koptos geschrieben hatte und diese in einem eisernen Behälter im Nil verbarg und Würmer, Schlangen und Skorpione zum Schutz bestellt hat [ 45 ]. Während die hermetische Tradition noch eher im Stil dieses Romanes ein initiertes Wissen vor dem Uneingeweihten schützen möchte, wird die Legende von der Sintflut in Ägypten eingeführt, die dort von Haus aus unbekannt ist [ 46 ], und die sich nicht mehr an die Initiierten richtet, sondern an die Überlebenden einer zukünftigen (nicht vergangenen!) Katastrophe [ 47 ]. Schon in römischer Zeit schreibt Ammianus Marcellinus nach seiner Besprechung der Pyramiden [ 48 ]:

"There are also subterranean syringes and winding passages, which, it is said, those acquainted with ancient rites, since they had foreknowledge that a deluge was coming, and feared that the memory of the ceremonies might be destroyed, dug in earth in many places with great labour; and on the walls of these caverns they carved many kinds of birds and beasts, and those countless forms of animals which they called hieroglyphic writing."

Während das Motiv der Riten hier natürlich dem hermetischen Gedankengut folgt, ist die Sintflut bereits ein asiatischer Import, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein babylonischer. Außerdem haben wir es hier nicht mit einer Beschreibung der Pyramiden zu tun, sondern mit Beamtengräbern, was nicht zwingend aus dem Zusammenhang [ 49 ], sondern zweifelsfrei aus dem Inhalt des Textes hervorgeht, wie die Erwähnung der Reliefs zeigt. Damit sind die Wurzeln für die arabische Überlieferung gegeben. Verschiedentlich sprechen die Quellen nicht nur von einer Flut, sondern von der Flut aus der biblischen Überlieferung, die hier Einzug gehalten hat [ 50 ]. Bis hin zu Manetho ist das Motiv "aus Furcht vor der Flut" unbekannt und wird durchgehend anders erklärt [ 51 ]. Einen guten Anteil an der Formierung der Flutlegende trägt die frühe Gleichsetzung zwischen dem Hermes des griechischen Milieus mit dem jüdischen Gedankengut und Henoch, womit das "Verbergen des Wissens" einsetzt und worauf die arabische Gestalt des Idris beruht [ 52 ]. Die jüdische Flutüberlieferung hatte tiefen Einfluß auf die spätere arabische Version der Pyramidenbauer. Im 4. Jh.n.Chr. kann man bei Johannes Kassianos bereits nachlesen, wie Cham, Adam und Noah an der Sicherung des Wissens teilhaben und erstmals geschieht es dort, daß die Elemente miteinander verbunden werden und daraus die Version entsteht, daß die Bücher der Wissenschaft auf der Arche Noahs vor der Flut gerettet werden [ 53 ]. Diese Fusion fand in den vorchristlichen Jahrhunderten in den jüdischen Gemeinschaften in Ägypten statt, die im Zuge der kulturellen Harmonisierung auch Konstruktionen wie Thot = Moses = Hermes herstellten, in denen, wie oben schon zitiert, Moses zum Kulturbringer Ägyptens avanciert [ 54 ]. Die Methode der Hamonisierung findet darüberhinaus seinen bekanntesten Ausdruck in der Angleichung der mythischen Geschichtsschreibung zwischen der Bibel und spätägyptischer Chronologie bei den christlichen Chronographen, speziell wenn sie Manetho zitieren. Damit einher geht die Idee, altägyptische Monumente und somit ebenso unsere Pyramide seien das Produkt biblischer Gestalten aus der apokryphen Literatur [ 55 ]. Den eindrucksvollsten Unterschied zwischen der ursprünglichen Flutüberlieferung, in der ein Paar der wichtigen Tierarten das Überleben einer einfachen Kultur symbolisieren, und der arabischen Version besteht darin, daß die Sicherung der Wissenschaften, die in der arabischen Welt ohnehin ihre Ursprünge haben, das Merkmal einer fortgeschrittenen "Buchkultur" sind [ 56 ].

Weitaus älter als diese Harmonisierung und die arabische Tradierung ist das Motiv des Verbergens der Wissenschaften vor der Flut. Hierbei handelt es sich nicht um ein ägyptisches sondern um ein babylonisches Motiv. In Berossos Schriften warnt Kronos Xiusudra vor einer Flut, die ihm im Traum erschienen ist, und er weist ihn an, alles Wissen vor dieser Flut zu retten, indem er es niederschreibt und in Sippar vergräbt [ 57 ]. Sogar der reine Wortlaut dieser Überlieferung ähnelt der viel späteren Pyramidenversion frappierend. Der babylonische Text ist chronologisch betrachtet nicht nur viel älter als die arabische oder frühchristliche Variante sondern vor allem auch der Ursprung der biblischen Version, die schließlich die Arche in diesen Rahmen einführte [ 58 ]. Um diese Situation zu erklären berichten arabische Geschichtsschreiber, daß Hermes zwar in Babylon geboren wurde, aber später an den Nil ging [ 59 ]. Die Araber hatten offensichtlich ein unbeschwertes Verhältnis zu dieser Art der Geschichtsschreibung - ein Ruf, der ihnen bis heute auch Ruhm einbringt.

Trotz dieser besonderen Ausgangslage bleibt der Cheopspyramide ein Motiv immer erhalten: sie ist das Grab eines Königs [ 60 ]. Und hier berührt das Milieu die altägyptische Überlieferung selbst. Manetho führt Athotis als König der 1. Dynastie, wobei Athotis als Name für Hermes gebraucht wurde [ 61 ], während auch sonst die arabische Überlieferung neben der Flut und allen anderen Motiven die Pyramide stets als Königsgrab vorstellt [ 62 ].

Der Weg der Tradierung und Harmonisierung ist gut aufzeigbar. Der Hermetismus war längst zu einem Phänomen geworden, das die ganze alte Welt umspannte, als die Araber nach Ägypten kamen. Die Sabäer und die Perser hatten die Überlieferungen direkt an die Araber weitergegeben. Die älteste und vollständigste Version der Pyramidenlegende stammt aus der Feder Abu Mashars, der in Balkh geboren wurde, einem Kulturzentrum mit griechischer, buddhistischer und persischer Tradition, zu dem sich auch sonst erhebliche Teile arabischer Philosophie zurückverfolgen lassen [ 63 ]. Noch bevor die Pyramiden selbst zum Gegenstand dieser Tradierung werden erwähnen spätere Autoren mit Berufung auf Abu Mashar andere Orte als Hort des Wissens, nämlich Isfahan, wo ein Bauwerk namens Sarawayh nach dem Einsturz die Wissenschaften der Alten hervorbrachte. Schon der nächste Autor läßt mit selbiger Berufung Isfahan weg und verbindet Sarawayh kurzerhand mit den Pyramiden von Giza [ 64 ]. Damit ist der Weg und die Funktionsweise der Pyramidenlegenden aufgezeigt.

Für die Kopten stand allein Hermes für heidnische Bräuche, den sie - bei gleichbleibenden Inhalten - lediglich durch Saurid ersetzten [ 65 ]. Auch diese Tradition erkennt in den Pyramiden von Giza funktional Gräber früher Könige [ 66 ]. Fodor hält es für wahrscheinlich, daß sich hinter dem Namen Surid tatsächlich Cheops selbst befindet, der bei Africanus sehr ähnlich als Suphis verschrieben ist [ 67 ]. Nach Africanus ist Suphis ebenfalls der Autor eines heiligen Buches. Und hier zeichnet sich möglicherweise ein Schatten einer echten Überlieferung ab, die mindestens bis ins Mittlere Reich zurückreichen könnte, nämlich bis zum Papyrus Westcar. In späterer Zeit beinhaltet ein medizinischer Papyrus folgenden Texte [ 68 ]:

    "This magic was found dropped in the courtyard of the Temple of Koptos by the lector-priest of this Temple, as the mystery of this Goddess (=Isis). The earth was in darkness, but the Moon lit this book while it was taken, as a miracle, to king of Upper and Lower Egypt, Cheops."

Auch in der römischen Periode ist man sich sicher, daß Cheops der Autor von Büchern ist [ 69 ]. Darunter befinden sich alchemistische Bücher, und Hermes war nun ebenfalls als Autor alchemistischer Bücher bekannt. Auch Cheops' Sohn Djedefhor, der im Papyrus Westcar eine Rolle spielt, gilt im Totenbuch als Entdecker eines Buches, das er unter den Füßen des Thot fand [ 70 ]. Das könnte tatsächlich ein Echo der glanzvollen Epoche der 4. Dynastie sein. Wie sehr sich im Orient die großen Legenden halten, mag daneben die noch heute (!) gültige Überlieferung in Giza aufzeigen, denn noch heute wird dort berichtet, daß unter der Großen Pyramide eine Insel liegt, auf der ein sehr alter Mann lebt. Vor ihm befindet sich ein Globus, von dem er die Ereignisse der Zukunft ablesen kann [ 71 ].

Eingänge in die Cheopspyramide

In der Zeit Harun al-Rashids schließlich soll der arabischen Überlieferung nach die Cheopspyramide von dem Kalifen al-Mamun geöffnet worden sein (813-833 n.Chr.). Heute ist das Loch al-Mamuns der übliche Eingang in die Große Pyramide. Außer den Berichten der arabischen Autoren gibt es allerdings keinen Beweis dafür, daß das Loch nicht schon vorher bestand. Die Geschichte jedenfalls beinhaltet ein paar Ungereimtheiten, die nicht einfach zu erklären sind:

Eingänge in die Cheopspyramide

    "In dem gewölbten Gemach, das sich in der Pyramide befindet, öffnet sich ein Gang, der zu dem höchsten Punkt der Pyramide führt, doch findet man in ihm keine Treppe. Er hat eine Breite von etwa 5 Spannen. Es heißt, man sei zur Zeit al-Mamuns dort emporgestiegen, und darauf zu einem gewölbten Gemach geringer Größe gelangt, in dem die Bildsäule eines Menschen stand, die aus grünem Stein, einer Art Malchit, gefertigt war. Man brachte sie zu al-Mamun, und es fand sich, daß sie mit einem Deckel verschlossen war. Als man sie öffnete, gewahrte man drinnen den Leichnam eines Menschen, der einen goldenen, mit allerlei Edelsteinen besetzten Panzer trug." [ 72 ]

    "Es heißt, man habe in der Pyramide die aus grünem Stein, einer Art Malachit, gefertigte Bildsäule eines Menschen gefunden, die mit einem Deckel verschlossen war, einer Schreibzeugbüchse vergleichbar. Als man den Deckel öffnete, gewahrte man drinnen einen menschlichen Leichnam..." [ 73 ]

Es gibt in der Cheopspyramide keine gewölbten Decken, weder in der Felsenkammer noch in den oberen Räumen. Dieser Irrtum herrscht praktisch in allen arabischen Texten vor, sodaß es um die In Mamuns LochTreffpunkt beider EingängeGlaubwürdigkeit nicht gut bestellt sein kann. Die Beschreibung des Sarkophages ist definitiv eine Beschreibung eines anthropoiden Sarkophages aus der Spätzeit. Wenn er sich tatsächlich dort befunden hat, dann handelt es sich um ein später eingebrachtes Begräbnis, vielleicht sogar um den Leichnam des Königs Amasis (s.o.). Jedoch fehlt jede Erwähnung der Granitwanne! Weiterhin ist der Bericht, al-Mamun hätte den richtigen Eingang nicht gefunden, schwer zu glauben. Niemand hätte den Eingang nach der ersten Beraubung wieder so herstellen können, daß er sich von der intakten (?) Verkleidung nicht abheben würde. Viel logischer erscheint das Szenario: Schon die ersten Eindringlinge in den Absteigenden Gang hätten in jedem Fall die granitenen Blockierungssteine im Aufsteigenden Gang sehen müssen! Diese Steine dort im engen Gang abzutragen hat man mit Sicherheit vermeiden wollen. Die logische Konsequenz wäre gewesen, einen weiteren Eingang durch den viel weicheren Kalkstein zu schlagen, um auf eine Stelle oberhalb der Blockierungssteine zu treffen. Und diese Stelle war vorher auszumachen, nämlich indem man einfach den sog. Grabräuberschacht erklimmt, der in der Großen Galerie endet. Daß al-Mamun nur zufällig einen solchen Gang angelegt hat, der zufällig in die richtige Richtung verläuft, und der zufällig an der richtigen Stelle direkt über den Blockieurngssteinen in den Aufsteigenden Gang trifft, ist wenig überzeugend! Auch die Geschichte, al-Mamuns Arbeiter hätten darin einen Stein fallen hören, woraufhin sie sich an dem Geräusch orientierten, ist eine mögliche Erklärung für die letzten Meter, aber nicht für den gesamten Befund. Wenn al-Mamun diesen Gang geschlagen hat, dann wußte er auch, wohin er führen sollte. Der sog. Grabräuberschacht ermöglichte zwar die Besteigung der Innenräume, aber der Zugang ist eng und ermöglichte es nicht, Gegenstände nach draußen zu schaffen. Genausogut könnte aber al-Mamun ein Loch freigeräumt haben, daß schon in der Spätzeit (oder sogar noch früher) geschlagen wurde, als der Absteigende Gang ohnehin bekannt war (s.o.), und dessen Zweck entweder die Beraubung oder die Einbringung eines Begräbnisses war, nämlich jenes des Amasis. Was sich wirklich sagen läßt ist, daß in der arabischen Epoche erstmals die oberen Räume und Gänge erwähnt werden. Alles andere ist Hypothese, wie auch Lauer meint [ 74 ]: "Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich in der Überlieferung der Kopten, auf die sich die arabischen Autoren mangels eigener Tradition stützten, die Erinnerung an ungewöhnliche Reichtümer in irgendeiner Pyramide oder auch in einem anderen Grab aus verhältnismäßig später Zeit gehalten hatten und sie diese Entdeckungen dann mit al-Mamun und der Großen Pyramide in Verbindung gebracht haben." Dafür steht m.E. das Zitat von Ammianus Marcellinus sehr eindrücklich (s.o.).

Als allmählicher Übergang zur wissenschaftlichen Methode sei hier der jakobitische Patriarch Dionysios von Tell-Mahrê aus dem 9. Jh. mit seiner Meinung über die Pyramiden von Giza zitiert [ 75 ]:

    "Es handelt sich nicht, wie man glaubt, um die Kornspeicher des Joseph, sondern um erstaunliche Mausoleen, die sich über den Gräbern alter Könige erheben. Sie sind nämlich schräg und massiv und haben keinen Hohlraum."

Anmerkungen

[ 1 ] Die beste Zusammenstellung der Erforschung der Pyramiden bei Lauer, Pyramiden, S. 13-120, der zu einem guten Teil von der Cheopspyramide berichtet.
[ 2 ] Wildung, Rolle ägyptischer Könige, S. 170f.; Kàkosy, Plundering, S. 154.
[ 3 ] Helck, Pyramiden, Sp. 2202-3.
[ 4 ] Kàkosy, op.cit., S. 154.
[ 5 ] Wildung, op.cit., S. 177-184.
[ 6 ] Kàkosy, op.cit., S. 157.
[ 7 ] Herodot, Historien II, 124ff.
[ 8 ] Spiegelberg, Glaubwürdigkeit, S. 3.
[ 9 ] Stadelmann, Giza, S. 8.
[ 10 ] Assmann, Weisheit und Mysterium, S. 17.
[ 11 ] Spiegelberg, op.cit., S. 9.
[ 12 ] Herodot, II, 124.
[ 13 ] Morenz, Traditionen, S. 115.
[ 14 ] Herodot, II, 154.
[ 15 ] Spiegelberg, op.cit., S. 16.
[ 16 ] Herodot, II, 131.
[ 17 ] Herodot, II, 124.
[ 18 ] Spiegelberg, op.cit., S. 21.
[ 19 ] ibd., S. 22f.
[ 20 ] Herodot, II, 124.
[ 21 ] vgl. Hornung, Das esoterische Ägypten, S. 26f.
[ 22 ] Lehner, Weltwunder, S. 38.
[ 23 ] nach Lauer, op.cit., S. 23.
[ 24 ] nach Kàkosy, op.cit., S. 161.
[ 25 ] nach Lauer, op.cit., S. 23.
[ 26 ] Dazu Sternberg, Untergang der Hieroglyphenschrift, passim.
[ 27 ] Bowman, Egypt after the Pharaos, p. 119.
[ 28 ] vgl. Arnold, Temples of the Last Pharaos, p. 272.
[ 29 ] Stadelmann, op.cit., S. 10f., Abb. 2.
[ 30 ] dazu Kàkosy, op.cit., passim.; MR IV, pp. 144-148.
[ 31 ] Kàkosy, op.cit., S. 145ff.
[ 32 ] ibd., S. 160.
[ 33 ] ibd., S. 158f.
[ 34 ] ibd., S. 157f.
[ 35 ] ibd., S. 158f.
[ 36 ] vgl. a. MR IV, bes. pp. 146f.
[ 37 ] vgl. Bowman, op.cit., p. 234.
[ 38 ] Fowden, Egyptian Hermes, p. 23.
[ 39 ] grundlegend: Fodor, op.cit.
[ 40 ] vgl. Fodor, Origins, p. 344.
[ 41 ] Graefe, Pyramidenkapitel, S. 73.
[ 42 ] ibd., S. 49.
[ 43 ] Fodor, op.cit., p. 344.
[ 44 ] Fowden, op.cit., passim.
[ 45 ] Fodor, op.cit., p. 338.
[ 46 ] vgl. Hornung, Himmelskuh, S. 93.
[ 47 ] Fodor, op.cit., pp. 338, 339.
[ 48 ] nach Kàkosy, op.cit., S. 164.
[ 49 ] ibd., S. 164.
[ 50 ] Fodor, op.cit., S. 337.
[ 51 ] ibd., p. 340.
[ 52 ] ibd., pp. 340f.
[ 53 ] ibd., p. 341.
[ 54 ] ibd.
[ 55 ] ibd.
[ 56 ] ibd., p. 342.
[ 57 ] Plessner, Hermes, p. 55.
[ 58 ] Fodor, op.cit., p. 342.
[ 59 ] ibd., p. 344.
[ 60 ] ibd., p. 343 m. n. 34.
[ 61 ] ibd., 343.
[ 62 ] Graefe, op.cit., passim.
[ 63 ] Fodor, op.cit., p. 345.
[ 64 ] ibd., p. 345.
[ 65 ] ibd., pp. 347ff.
[ 66 ] ibd., p. 349.
[ 67 ] ibd., p. 357.
[ 68 ] nach Kàkosy, op.cit., S. 165, Anm. 90.
[ 69 ] ibd., p. 165f.
[ 70 ] Fodor, op.cit., p. 358 m. Anm. 129.
[ 71 ] ibd., p. 346, n. 55.
[ 72 ] Graefe, op.cit., S. 66f.
[ 73 ] ibd., S. 80.
[ 74 ] nach Lauer, op.cit., S. 29.
[ 75 ] ibd., S. 31.

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