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Die Grabplatte von Palenque

Die Bedeutung der Komposition

Teil III: Die Achse der Welt

Um den Wacah Chan herum und darüber befindet sich noch eine Anzahl weiterer Symbole, die unmittelbar zur Sinngebung der Darstellung gehören. An erster Stelle ist dabei die Doppelköpfige Schlange zu nennen. Ausgehend von den Ergebnissen des Ethnographen John Sosa, der bei den heutigen Maya in Yukatan die Ekliptik als doppelköpfiges Tier vorgefunden hat, projizierte Linda Schele dieses Bild auf den Wacah Chan. Die Milchstraße wird von der Ekliptik ebenso gekreuzt wie der Wacah Chan von der doppelköpfigen Schlange [ 1 ]. Die Ekliptik ist die Linie der Konstellationen, die scheinbare Jahresbahn also, auf der sich Planeten, Mond und auch Sonne bewegen. Wir unterteilen dieses Band heute in 12 Tierkreiszeichen. Die Maya hatten dafür unterschiedliche Konstellationen, die sogar bis in die Präklassik zurückzuverfolgen sind [ 2 ]. Alle diese Konstellationen befinden sich innerhalb der Ekliptik oder direkt daneben. Da sich in den Tropen die Ekliptik direkt im Zenith befindet, ist mit der doppelköpfigen Schlange unmittelbar der Punkt der Milchstraße bezeichnet, an dem direkt über den Köpfen Sonne, Mond und Planeten diesen Punkt kreuzen. Eine Untersuchung hat gezeigt, daß die doppelköpfige Schlange unmittelbar mit Sonne, Mond, Zodiac und Planeten zu tun hat - sie hängen an einem Band an der doppelköpfigen Schlange. Auch auf unserer Platte sind Sonne und Mond direkt neben den Enden der doppelköpfigen Schlange angebracht [ 3 ]. Somit kann es sich bei diesem Symbol also nur um die Ekliptik handeln [ 4 ].

Der Körper der doppelköpfigen Schlange, auch "Schlangenstab" genannt, ist mit Jade-Segmenten geschmückt und gilt neben der beschriebenen Funktion seit Beginn der klassichen Zeit als Symbol des Maya-Königtums [ 5 ]. Aus dem geöffneten linken (westlichen) Maul der Schlange erhebt sich "Gott K" (in der klassischen Periode "Gott II" genannt)[ 6 ]. Nach den Untersuchungen von Susan Milbrath handelt sich dabei um den Planeten Jupiter, wenn sich dieser in Opposition zur Venus und in retrograder Bewegung befindet [ 7 ]. Jupiter spielt zusammen mit Venus die zentrale Rolle in den rituellen Kalendern der Maya [ 8 ]. Pacal selbst - wie auch viele andere Könige der klassichen Zeit - ist auf der Platte als Gott K dargestellt. Pacals Apotheose fand statt, als Jupiter seinen ersten stationären Punkt erreichte - am 28.8.683 n.Chr.

Das linke, östliche Maul des Schlangenstabes gibt den sog. "Gott Narr" frei. Diese Bezeichung geht auf die Ähnlichkeit seines Kopfputzes mit der mittelalterlichen Narrenkappe zurück, bedeutet aber faktisch nicht weniger als "ahau", die Bezeichnung für "Herr" [ 9 ]. Astronomisch konnte ich keine direkten Zuordnungen des Gottes finden. Es wäre aber sicher interessant den Schlangenstab einmal auf eine besondere Funktion hin näher zu untersuchen. Die besondere Funktion des Schlangenstabes für das Königtum und die ebenso herausragende Bedeutung des Planeten Jupiter, besonders seine Stellung gegenüber der Venus im Kalender, würde eine Zuordnung des Gottes zur Venus wahrscheinlich machen. Im Tempel 5C-2 in Cerros sind genau die beiden Masken mit dem Gott Narr-Diadem versehen, die für die Venus als Morgen- und Abendstern stehen [ 10 ].

Aus der Darstellung der Platte sticht besonders der "Rachen der Unterwelt" hervor. Man erkennt mehr, wenn man das Bild dreht - wie nebenan. In der Sprache der Maya wird der Rachen Sak-Bak-Nakan genannt, was wörtlich "Weiße-Knochen-Schlange" bedeutet [ 11 ]. Die zoomorphe Darstellung zeigt die skelettierten Kinnbacken des Portals in die Jenseitswelt Xibalba, in der alle Zoomorphe skelettiert dargestellt werden. Ein solches Portal findet man z.B. in der Architektur des Tempels 11 in Copan. Das innere Sanktuar ist als Ort der Jenseitswelt gedacht, zu dem man bildlich ein Sak-Bak-Nakan-Portal durchschreiten muß [ 12 ]. Damit kommen wir zu der bereits zitierten Stelle zurück, nach der sich dieses Portal direkt an der Stelle der Milchstraße befindet, das ein großes schwarzes Loch aufweist - und das heißt offensichtlich auch "schwarzes Loch". Die Glyphe für "Cenote" oder "Loch" ist verwandt mit der "Weiße-Knochen-Schlange" [ 13 ].

Auf dem sogenannten Blasrohrschützen-Gefäß ist ebenfalls ein Weltenbaum dargestellt, allerdings mit dem nicht zu unterschätzenden Detail, das direkt unter dem Baum einen Skorpion zeigt [ 14 ]. Und tatsächlich wurde unser Sternbild Skorpion nur in der Postklassik als Skorpion dargestellt. In der klassischen Zeit wird dieses Sternbild als skelettierte Schlange gezeigt, nämlich als Sak-Bak-Nakan [ 15 ]. Am Tag des Todes von Pacal, also am 26.8.683, stand das Sternbild des Skorpion in der Dämmerung hoch oben im Westen und markierte den schwarzen Spalt der Milchstraße [ 16 ]. Nach Ansicht von Milbrath markieren die Punkte auf dem Skelett der Schlange die Sterne des Skorpion.

Innerhalb der Sak-Bak-Nakan-Schlange befindet sich ein weiteres, eindeutig zoomorphes - und daher ziemlich "untechnisches" - Gebilde mit Augen, Nase und Maul: das sog. "Viergeteilte Monster", das unterhalb des Mauls mit Fleisch bedeckt, aber oberhalb wiederum skelettiert ist - so, als befände sich der eine Teil im Diesseits und der andere im Jenseits. Eine ganze Reihe von Glyphen befinden sich daran, und aus einer besteht das Gebilde selbst, nämlich der Opferplatte an der Stirn des Monsters, auf der man klassischerweise das Brandopfer dargebracht hat [ 17 ]. K'in, die Glyphe für Sonne, markiert die Platte. Lak ist das Determinativ für das sog. "Viergeteilte Monster". Rechts von der Mitte befindet sich das Zeichen kimi für "Tod". Der Stachel des Rochen innerhalb der Opferschale (die sog. "Kin-Schale") diente den Maya zum Blutopfer und die zwischenzeitlich berühmte Glyphe way steht für die "Transformation" des verstorbenen Pacal in die Jenseitswelt Xibalba - eine logische Schlußfolgerung aus seinem "Tod". Ebenso wie unsere skelettierte Schlange ist das Bild des Monsters ein sehr häufiges Motiv in der Ikonographie der Maya. Neben der hier gezeigten Variante als Fuß des Weltenbaums erscheint es als Zepter und Kopfputz oder als Symbol für die Sonne am rechten Ende des "Kosmischen Monsters". Die Symbolik der Sonne wird außerdem durch zwei gekreuzte Bänder unterstrichen, die auf die Kreuzung der Sonnenbahn mit der Milchstraße zurückgehen [ 18 ].

Am eindrücklichsten vermag eine Malerei eines Tellers aus der Spätklassik über die Funktion des Viergeteilten Monsters Auskunft geben [ 19 ]. Für viele Fragen, vor allem z.B. der legitimen Herrschaft eines königlichen Erben, mußten die Ahnen befragt werden. Vieler dieser Szenen, die einen solchen Kontakt zur Jenseitswelt darstellten, muten heute brutal an. Mit dem Stachel des Rochen druchbohrten sich die Proponenten Zunge und Penis. Wenn dann einer dieser Ahnen erscheint, dann geschieht das üblicherweise aus dem Kopf der sog. "Visionsschlange" [ 20 ]. Diese Schlange erhebt sich in einem solchen Moment und ebenso auf unserem Teller direkt aus dem "Viergeteilten Monster". Kein anderes Bild der Maya hat je besser auf den Punkt gebracht, wo man sich die Ahnen gedacht hat - nämlich an jenem schwarzen Loch der Milchstraße (die mit dem Blut der Zunge oder des Penis getränkten Papierstreifen wurden dementsprechend in der oben erwähnten Kin-Schale verbrannt.).

Über die exakte astronomische Funktion des "Viergeteilten Monsters" wurde in der Vergangenheit viel diskutiert. Es war fraglich, ob man über den durch die skelettierte Schlange schon eingegrenzten, schwarzen Punkt der Milchstraße hinaus noch etwas mehr an Detailinformationen würde finden können. Milbrath hat anhand verschiedener astronomischer Darstellungen herausgefunden, daß wir es hier ebenfalls mit der Ekliptik zu tun haben, und zwar mit dem südlichsten Punkt, an dem sich Ekliptik und Milchstraße kreuzen [ 21 ].

Oben, an der Spitze des Wacah Chan, sitzt fast immer der sog. "Himmelsvogel". Gelegentlich findet man ihn auch auf dem "Kosmischen Monster" abgebildet [ 22 ]. Die Flügel des "Vogels" sind personifiziert, der Kopf ist zoomorph. Aus dem Schnabel hängt ein langes geflochtenes Band. Um den Hals trägt er eine Kette und am Kopf einen Schmuck aus Muschelschale, der an einem Jadestirnband hängt. Die Muschelschale kennzeichnet den Vogel als den "animal spirit companion" von Itzamna, den Schöpfer dieser Welt und Aufrichter des Wacah Chan [ 23 ]. Die Maya nannten ihn daher Itzam-Kah, Itzam-Ye oder Mut-Itzamna. Der Himmelsvogel ist unter seiner postklassischen Bezeichung wesentlich bekannter: Wuqub-Kaqix - "Sieben-Papagei", der seine große Rolle in der Schöpfungsgeschichte des Popol Vuh spielt [ 24 ]. Wenn der Himmelsvogel auf dem Baum landet, dann - so ein Text - "tritt der in den Himmel ein", bzw. "wird zum Himmel" [ 25 ].

Über die astronomische Bedeutung des Himmelsvogels muß nicht viel gesagt werden. Er steht praktisch für den Himmel als solcher [ 26 ]. Nun wurde aber bereits gezeigt, daß der Wacah Chan exakt einen Auschnitt des Himmels bezeichnet, und daß die Spitze des Baumes bei der Errichtung der Welt auf den Polarstern weist, um den herum sich das ganze Gebilde dreht. Unser Himmelsvogel hätte hier also eine Rolle, die dem Polarstern gleichkäme. Und diese hat er tatsächlich [ 27 ]! Gott C, der - wie ebenfalls bereits besprochen - den Stamm des Wacah Chan determiniert, wurde bereits 1904 von Paul Schellhas mit dem Polarstern in Verbindung gebracht; das Wort für "Norden" wird manchmal mit der Glyphe dieses Gottes geschrieben. Und deshalb ist auch unser Vogel bei den Quiché unter dem Namen "Sieben-Papagei" bekannt, er bezeichnet die sieben Sterne von Ursa Minor, des Kleinen Bären, die den Polarstern enthalten. Vor der postklassischen Zeit bleibt die astronomische Zuordnung unbekannt. Das hängt sehr wahrscheinlich mit der Präzession der Äquinoktien zusammen, die dazu führt, daß der Polarstern nicht konstant auf der Stelle steht. Noch zu Zeiten der alten Ägypter wurde Alpha Draconis als Führer der Unvergänglichen Sterne angesehen. Polaris ist erst seit dem Mittelalter der Polarstern - also zu postklassischer Zeit in Mesoamerika. Santillana und von Dechend haben in ihrem berühmten Werk eine Reihe von Mythen aus der ganzen Welt gesammelt, in denen vom "Abschießen" des Polarsterns die Rede ist, was sich mit nicht zu unterschätzender Wahrscheinlichkeit auf dieses Ereignis bezieht [ 28 ]. Im Zusammenhang mit unserem Himmelsvogel gibt es dazu eine bestätigende Darstellung aus der klassischen Zeit. Auf einer Vase sieht man Itzam-Yeh, unseren Himmelsvogel, auf den Ästen des Wacah Chan sitzen [ 29 ]. Eins-Ahau zielt mit einem Blasrohr auf den Himmelsvogel und "schießt" ihn ab [ 30 ]! Wie auch in den Beispiel von Santillana und von Dechend ist damit eine neue Schöpfung der Welt verbunden. Das Datum dieses Ereignisses ist explizit festgehalten: 28. Mai, 3149 v.Chr., als Alpha Draconis noch der Polarstern war [ 31 ].

Literatur

[ 1 ] Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 78, 422, n. 34.
[ 2 ] Milbrath, op.cit., S. 254-257.
[ 3 ] vgl. z.B. Schele & Miller, op.cit., S. 283, Plate 111b.
[ 4 ] vgl. die ausführliche und teilweise konträre Punkte besprechende Diskussion bei Milbrath, op.cit., S. 275-282.
[ 5 ] Schele & Freidel, op.cit., S. 485.
[ 6 ] Schele & Miller, op.cit., S. 285.
[ 7 ] Milbrath, op.cit., S. 176, 227-240.
[ 8 ] Schele & Freidel, op.cit., passim. Bei den Azteken wird er Tezcatlipoca genannt.
[ 9 ] ibd.; S. 42ff.; 479; 520, Anm. 29,30.
[ 10 ] ibd., S. 112ff., Abb. 3.12; für das Vorkommen in astronomischen Darstellungen vgl. auch Milbrath, op.cit., S. 87-91.
[ 11 ] Schele & Mathews, op.cit., S. 113.
[ 12 ] Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 222.
[ 13 ] vgl. Schele, Religion, S. 205; Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 422, n. 43.
[ 14 ] Schele, op.cit., S. 198.
[ 15 ] Milbrath, op.cit., S. 264ff.
[ 16 ] ibd., S. 265.
[ 17 ] Schele & Mathews, op.cit., S. 113; Schele & Freidel, op.cit., S. 487f.
[ 18 ] Schele & Freidel, op.cit., S. 488. Weitere Informationen zur Erforschung dieses Symbols bei Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 450f., n. 91.
[ 19 ] Schele & Miller, op.cit, S. 194, 207, Fig. 74.
[ 20 ] Daß der Verstorbene bei den Maya als Stern am Himmel gedacht wird, und daß die Sterne bei den Maya wiederum als Schlangen betrachtet werden, gehört zu den ältesten Einsichten der Maya-Forschung überhaupt, vgl. J.E.S. Thompson: Maya Hieroglyhic Writing - An Introduction. Norman, 1960, S. 85.
[ 21 ] Milbrath, op.cit., S. 273.
[ 22 ] Schele & Freidel, op.cit., S. 480.
[ 23 ] Schele & Mathews, op.cit., S. 114.
[ 24 ] Cordan, Wolfgang: Popol Vuh - Das Buch des Rates. Gütersloh, [1962], 1981, S. 38ff.
[ 25 ] Schele, Freidel, Parker, op.cit., S. 70f.
[ 26 ] Milbrath, op.cit., S. 249, 283-285.
[ 27 ] Schele, Freidel, Parker, op.cit., S. 79, 89, 104ff., 112f., 449, n. 81. So, wie die Dinge stehen, ist das ein Vermächtnis der Olmeken, die um 1000 v.Chr. in La Venta Beobachtungen machen konnten, die exakt die Handlung des Mythos wiedergeben, vgl. dazu ibd., S. 423, n. 54, S. 428, n. 23; vgl. Milbrath, op.cit., S. 273f.
[ 28 ] de Santillana, Giorgio & Hertha von Dechend: Die Mühle des Hamlet. Ein Essay über Mythos und das Gerüst der Zeit. Wien-New York, [1969], 1994, S. 125ff; S. 373ff, Appendix 16.
[ 29 ] Schele, op.cit., S. 202, Abb. 123. Es scheint auch ein frühklassisches Gefäß mit einer solchen Darstellung zu geben, vgl. Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 417, n. 16.
[ 30 ] vgl. auch Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 69-71, 105.
[ 31 ] ibd., S. 71.

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