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Die Grabplatte von Palenque

Die Bedeutung der Komposition

Teil II: Wacah Chan

Die schon zitierte Bemerkung Thóts, "In Gedanken entfernen wir die reinen Symbole...", hat einen interessanten Nebeneffekt: Entfernt man nämlich die Symbole, dann ist die Platte leer! Wie in der Ikonographie der Maya üblich, ist auf der Platte nichts anderes dargestellt als Symbole und Schrift. Und diese betrachten wir nun etwas genauer.

Das zentrale Element der Platte ist der Wacah Chan, der Weltenbaum der Maya. Die wörtliche Bedeutung davon ist "Aufgerichteter Himmel" [ 1 ]. Daß der Himmel aufgerichtet ist, ist eine unmittelbare Folge der Schöpfung, und damit schließen sich die Maya an praktisch alle großen Kulturen nach "kosmologischem" Prinzip an [ 2 ], deren Schöpfung mit der Erhebung des Himmels begann und die große Ressourcen kultischer Aktivität investierten, damit ihnen der Himmel nicht auf den Kopf fallen möge [ 3 ]. Das Motiv des Himmelstützens ist ein zentrales Motiv aller mesoamerikanischen Hochkulturen und mit den Olmeken mindestens bis in die Frühformative Phase um 1500 v.Chr. zurückzuverfolgen [ 4 ]. Aus der klassischen Zeit berichtet die Stele C aus Quiriguá über die Schöpfung [ 5 ]. Ort der Handlung vor der Schöpfung ist Cha Chan - wörtlich: "Darniederliegender Himmel". Noch unmittelbar vor der Schöpfung der Welt erscheint auch noch der Gott Itzamna, der auf einem Jaguar-Thron sitzt, welcher in einem Haus names "Liegender-Himmel-Ort" steht.

Im Kreuztempel von Palenque befindet sich die Inschrift, die von den weiteren Ereignissen berichtet [ 6 ]. Danach beginnt der Akt der Schöpfung mit der Einweihung eines Hauses, das "Erhobener-Himmel-Acht-Haus-Abschnitt" oder "Haus des Nordens" genannt wird. Die Zahl acht steht dabei für die vier Haupt- und die vier Zwischenhimmelsrichtungen. Der "Erste Vater", Hunal Yeh ("Eins-Mais?"), führt den Akt der Schöpfung durch, indem er den Himmel emporhebt und ein Jahr später mit einem Baum, eben dem Wacah Chan, abstützt. Die Schöpfung endet damit, daß Hunal Yeh den Wak Chan Ki, das "Aufgerichteter-Himmel-Herz", in Drehung versetzt. Man kennt sogar das Datum dieses Ereignisses. Die Maya unterschieden bekanntlich mehrer Schöpfungen. Die letzte und bis heute gültige begann am 13. August 3114 v.Chr.

Das Bild ist rein astronomisch gesehen völlig eindeutig. Die Spitze des Weltenbaums verläuft im "Haus des Nordens" durch den Polarstern ("Haus-des Nordens") - seine Basis durch das Sternbild Skorpion. Die Drehbewegung von Wak Chan Ki ist dabei nichts andereres, wie die Drehbewegung des Himmels um den Polarstern. Der Wacah Chan verläuft also nicht senkrecht vom Boden aus zum Zenith, sondern wie ein Dachbalken quer über den Himmel. Das wiederum ist freilich nichts anderes als eine Darstellung der Milchstraße, die auch in vielen anderen Kulturen als "Straße der Toten" galt [ 7 ].

Der Weltenbaum als Zentralachse des Kosmos und Träger des Himmels ist wesentlicher Bestandteil aller mesoamerikanischen Kulturen und kehrt in den verschiedensten Varianten wieder [ 8 ]. Dabei können die vier Seiten des Weltenbaums auch zusätzliche vier himmeltragende Bäume hervorbringen, nämlich einen für jede Himmelsrichtung. In Yukatan wurde er yaxché genannt und war nach botanischer Zuordnung der Ceiba-Baum, der heute das Nationalwappen Guatemalas ziert [ 9 ]. Der Ceiba-Baum blüht Ende Januar bis Anfang Februar, in der Zeit also, in der nach Auffassung der Maya die Welt erschaffen wurde [ 10 ]. Der Begriff yaxché bedeutet "erster" oder "grüner" Baum. Erster deswegen, weil nach Ansicht der Maya dies der erste Baum war und "grün" deswegen, weil die Farbe grün mit dem Mittelpunkt assoziiert wird. Die Bäume an den Ecken der Himmelsrichtungen erhalten dementsprechend die Farben der verschiedenen Himmelsrichtungen: rot, weiß, schwarz und gelb. Die bekannteste Darstellung dieser Komposition dürfte der postklassiche Kodex Dresden sein. Neben der farblich unterschiedenen Bäumen erhält jede der vier Haupthimmelsrichtungen noch Vögel, Götter, Tage und sog. Jahresträger zugewiesen. Darstellungen des Weltenbaums sind nicht nur bei allen mesoamerikanischen Kulturen zu finden, sondern auch schon Element der Präklassik. Auf der Stele Izapa 5 befindet sich bereits in vorgeschichtlicher Zeit eine sehr komplexe und detailreiche Darstellung und bereits bei den Olmeken ist der Weltenbaum in genau derselben Weise wie bei den Maya zu finden [ 11 ].

Das Material über den Wacah Chan ist also sehr reichhaltig und eindeutig und schließt durch den Vorgang der Weltschöpfung und seine astronomischen Funktionen jede These über ein Raumschiff kategorisch aus. Daran ändern auch alle weiteren Symbole auf der Platte nichts. Dazu zählt neben der schon erwähnten Glyphe für Baum z.B. das tzuk-Zeichen am Stamm des Baums, das dort das Zentrum der Welt symbolisiert - es bedeutet "Unterteilung" [ 12 ] und meint die Unterteilung der Welt. Das nächste Symbol, nämlich das des Spiegels, weist schon auf die Funktion der ganzen Platte. Spiegel erscheinen bei allen mesoamerikanischen Kulturen als Symbol für die andere, die "Spiegelwelt". Spiegel mit Schlangen umgeben galten als Zeichen für die Ankunft der Ahnen aus der Unterwelt [ 13 ]. Am Ende der beiden Äste und an der Spitze des Baumes sind jeweils die Glyphen für "Blüten" angebracht, was zweifellos wiederum auf das Erblühen des Ceiba-Baumes zum Zeitpunkt der Schöpfung hinweist. Aus ihnen heraus wachsen mit Juwelen bestückte Schlangen, die als personofizierter Blütenstaub angesehen werden [ 14 ].

Ein weiteres wichtiges Merkmal des Wacah Chan ist die Glyphe für "Gott C". Die Anbringung dieser Glyphe auf einem Lebewesen oder einem Gegenstand bedeutet allgemein, daß dieser als "heilig", "sakral" angesehen werden kann [ 15 ]. Aber ebenso ist "Gott C" eng mit dem Blut verbunden, das bei den Maya eine ganz außergewöhnliche Rolle gespielt hat. Die Schlangen, die aus den Ästen des Weltenbaums hervorkommen, symbolisieren ebenfalls dieses Blut. In der Sprache der Maya heißt "Saft" einfach "Blut des Baumes", aber hier haben wir es mit einem Wortspiel zu tun, das den Saft des Ceiba-Baumes mit dem Blut im Ritual des Königtums gleichsetzt [ 16 ].

Der Wacah Chan ist kein totes Symbol einer untergegangenen Kultur aus einer nicht mehr greifbaren Vergangenheit. So wie die Welt der Maya noch heute lebt, wird auch der Wacah Chan noch verehrt und zum Teil sogar mit den selben Ritualen versehen, wie es die Maya der Klassik oder Postklassik taten [ 17 ]. Man schmückt dabei ein vermeintlich christliches Kreuz mit Blüten und Spiegel!

Literatur

[ 1 ] Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 53.
[ 2 ] Begriff verwendet nach Eric Voegelin, Order and History I, Baton-Rouge, 1956.
[ 3 ] Diese Äußerung erscheint populär, aber historisch korrekt auch bei Asterix und Obelix!
[ 4 ] vgl. Miller, Mary Ellen & Karl Taube: An Illustrated Dictionary of the Gods and Symbols of Ancient Mexico and the Maya, London, [1993], 1997, S. 154f. Für eine umfangreiche Studie aus dem Alten Ägypten vgl. Dieter Kurth, "Den Himmel stützen" - Die Tw3 pt-Szenen in den ägyptischen Tempeln der griechisch-römischen Epoche, Bruxelles, 1975.
[ 5 ] nach Schele, Religion und Weltsicht, in: Eggebrecht, Eva & Arne; Nicolai Grube (Hrg.): Die Welt der Maya. Archäologische Schätze aus drei Jahrtausenden. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Mainz, 1992, S. 97f.
[ 6 ] ibd., S. 198.
[ 7 ] ibd., S. 200; Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 77, Fig. 2:11; Miller & Taube, op.cit., S. 113f.; 157; Milbrath, Susan: Stargods of the Maya. Astronomy in Art, Folklore, and Calenders. The Linda Schele Series in Maya and Pre-Columbian Studies. Austin, Texas, 1999, S. 41-43. u. passim.
[ 8 ] Manzanilla, Linda: The Construction of the Underworld in Central Mexico. Transformations from the Classic to the Postclassic. in: Carrasco, David & Lindsay Jones & Scott Sessions (Eds.): Mesoamerica's Classic Heritage. From Teotihuacan to the Aztecs. Colorado, 2000, S. 87-116.
[ 9 ] vgl. Miller & Taube, op.cit., S. 186.
[ 10 ] vgl. Schele, Linda & Peter Mathews: The Code of Kings - The Language of Seven Sacred Maya Temples and Tombs. New York, 1998, S. 113.
[ 11 ] Schele, Linda: The Olmec Mountain and Tree of Creation in Mesoamerican Cosmology. in: The Olmec World: Ritual and Rulership. New York, The Art Museum, Princeton University, 1995, S. 105-117, vgl. S. 122 u. bes. 234, Kat.No. 131.; Jorelamon, Peter David: In Search of the Olmec Cosmos: Reconstructing the World View of Mexico's First Civilization. in: Benson, Elizabeth & Beatriz de la Fuente (Eds.): Olmec Art of Ancient Mexico. Washington, 1996, S. 51-59.
[ 12 ] Freidel, Schele, Parker, op.cit., S. 73, 140 u. passim.
[ 13 ] Schele & Mathews, op.cit., S. 113.; Miller & Taube, S. 114f.
[ 14 ] Schele & Mathews, op.cit., S. 113.
[ 15 ] Schele, Freidel, op.cit., S. 478.
[ 16 ] Schele, Linda & Mary Ellen Miller: The Blood of Kings - Dynasty and Ritual in Maya Art, New York, 1986, S. 284.
[ 17 ] Freidel, Schele, Parker, op.cit., passim.

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